
„In Deutschland kam mein Vater mit Mozart in Berührung. Während seines Medizinstudiums, entwickelte er seine Liebe für klassische Musik. Zurück in Kamerun setze er mich schon im Kindesalter vor das Klavier und weckte die Begeisterung für Mozart in mir.“ Isaak Ebanda sitzt im Souterrain der Fondation Orient-Occident (FOO) in Marokkos Hauptstadt Rabat. Um ihn herum stehen sieben elektronische Klaviere der Firma Yamaha. Gestiftet wurden diese von der japanischen Botschaft. Isaak ist einer der Musiklehrer der FOO, hier gibt er Kindergruppen Klavierstunden: Sie lernen Klavier spielen, Noten lesen und proben für Auftritte.
Das Marokko von heute versteht sich als Brücke zwischen Europa und Afrika. Die Vergangenheit gilt als Vorbild für die Zukunft. Begünstigt durch seine geographische Lage nördlich der Sahara-Wüste und südlich von Spanien entwickelte sich Marokko über Jahrhunderte zu einem Schmelztiegel für Handel, Kultur und Migration. Die kulturelle Identität des Landes speist sich aus Einflüssen muslimischer Araber_ innen, der Amazigh-Berbervölker und sephardischer Jüd_innen. Dieses Erbe wird nicht nur durch die neue Verfassung von 2011 offiziell anerkannt, die aktuelle Politik des Königs Mohammed VI. sieht in ihr auch einen Wegweiser für die Zukunft des Landes – Toleranz als Staatsräson. Doch die Herausforderungen für die marokkanische Gesellschaft sind groß: Jungen Menschen fehlt es an Perspektive, die Unzufriedenheit wächst. Zusätzlich ist Marokko Transit- und Zielland für Migration und Flucht aus der Subsahara-Region und der arabischen Welt.
„Dass ich heute in Marokko bin, dafür gibt es drei Gründe“ sagt Isaak. „Erstens wollte ich wie mein Vater Arzt werden, zweitens ist das Medizinstudium in meinem Heimatland Kamerun sehr schlecht und drittens herrscht Gewalt. Deshalb habe ich mich entschieden nach Marokko zu kommen.“ Heute finanziert sich Isaak sein Leben und sein Medizinstudium in Rabat über Klavierstunden, die er in der FOO gibt. Hier unterrichtet er gemischte Klassen aus Marokkaner_innern und Migrant_innen. Die Schüler_innen lernen nicht nur Klavierspielen, sie lernen sich auch gegenseitig kennen – Kultur verbindet.
Eine Gebäude wie eine Arche
Vor der FOO liegt ein Park mit Bänken und Wegen, ihr Eingang ist von der Künstlergruppe The Messengers of Messages gestaltet worden. Beim Betreten des Areals fällt sofort die besondere Architektur auf. Das Hauptgebäude der FOO wurde von dem marokkanischen Architekten Noureddine Koumika einer Arche nachempfunden – ein Ort der Zuflucht und des Schutzes. Am Eingang verkaufen Migrant_innen aus dem Subsahara-Raum Schmuck, Kosmetikprodukte, Stoffe, Holzfiguren und Kunsthandwerk, alles selbstgemacht, unter großen Sonnensegeln. Durchschreitet man den Markt passiert man linker Hands die Radiostation F und erreicht nach wenigen Schritten das Haupthaus. Darin befindet sich der Empfang der FOO, eine große Bibliothek und mehrere Seminarräume. Im Souterrain ist die Musikschule, die Küche und das Schneiderinnenatelier von Migrants du Monde. Die Modemarke trägt ihren Namen nicht ohne Grund, im Atelier arbeiten Schneiderinnen aus verschiedenen Ländern Afrikas und des Nahen Ostens. In ihrer Mode verschmelzen Muster aus Subsahara-Afrika mit traditionellen marokkanischen Schnitten. Besonders die handgemachten Stickereien sind ein Aushängeschild der Modelabels. In ihnen drücken die Schneiderinnen ihre Identität aus, traditionelle Muster aus ihren Heimatländern zieren die Blusen und Kleider.
Radio F: Eine starke Stimme für Migrant_innen
Während im Souterrain die Nähmaschinen surren, sendet das Radio F aus der oberen Etage der FOO eine Debatte live. Der Leiter des Radios Franck Nama hat zwei Gäste geladen: Cesar Gnagbodadje vertritt die Rechte von Migrant_innen, die in Callcentern angestellt sind. Viele Migrant_innen arbeiten dort unter schlechten Bedingungen. Cesar beschwerte sich bei seiner Firma und wurde daraufhin entlassen. Doch er steckte nicht zurück, ging mit dem Fall an die Öffentlichkeit und erhielt nicht nur seinen Arbeitsplatz zurück, jetzt setzt er sich für die Rechte anderer migrantischer Callcenter-Agents ein. Neben ihm sitzt der Pfarrer Lino Kungula, sein Engagement für Migrant_innen fußt auf einem religiösen Ansatz. So beruft er sich auf biblische Geschichten, die zeigen, dass bereits damals Menschen ihre Heimat hinter sich ließen, um ein besseres Leben zu finden. Migration ist ein menschlicher Charakterzug. In der einstündigen Debatte werden Wege für Migrant_innen besprochen, um ihre Rechte einzufordern. Es wird sich gegenseitig Mut gemacht, um hier in Rabat ein neues Leben aufzubauen. „Die Menschen wollen nicht nach Europa, sie wollen ein besseres Leben“, sagt Franck Nama. Er arbeitet seit über zehn Jahren als Journalist zu Migrations- und Fluchtfragen. „Hier im Radio F haben die Migrant_innen und Geflüchtete eine starke Stimme, hier können sie davon berichten, wenn sie zum Beispiel von der Polizei zu Unrecht verhaftet wurden. (…) Die FOO ist wie ein starkes Schild für uns, hier können wir offen die Wahrheit über unsere Situation aussprechen und erreichen damit eine große Hörer_innenschaft.“
Mit kühlem Kopf im Bienenstock
Um die vielen Angebote, Kurse und Veranstaltungen zu koordinieren braucht es einen kühlen Kopf. Der erste Besuch in der FOO beginnt für jeden am Empfang. Dort wartet Fatima Azzahra Benaddi, die schnell die Bedürfnisse der Migrant_innen aufnimmt und sie dann an die zuständigen Personen im Haus vermittelt. Da die FOO an geschäftigen Tagen einem Bienenstock gleicht, erfordert ihre Tätigkeit ein ausgesprochenes Maß an Übersicht und Gelassenheit. „Ich habe hier Darija für Migrant_innen aus dem Subsahara-Raum in 2016 unterrichtet. Das hat mir geholfen ihre Situation zu verstehen, besonders weil in meinem Kurs unbegleitete minderjährige Geflüchtete waren.“ Seitdem ist sie motiviert dabei und hat für jeden ein offenes Ohr. Häufig berät sie sich mit der EIRENE-Fachkraft Jamila Antony, die beiden haben ein freundschaftliches Verhältnis. „Die FOO kreiert mit Ihrem Zentrum eine Oase des Friedens, der kreativen und sozialen Entfaltung, die für ein gegenseitiges Verständnis von unterschiedlichen Lebensgeschichten Raum schafft“, sagt Jamila. In ihren Augen ist es der FOO gelungen eine solidarische Plattform zu schaffen, die als Model für eine pluralistische und offene marokkanische Gesellschaft dient.
Unterstützen Sie Migrant_innen in Marokko mit einer Spende
Stefan Schneider arbeitet im Kommunikationsreferat in der Geschäftsstelle von EIRENE und ist dort zuständig für Social Media und Fundraising. Im Rahmen einer Dienstreise nach Marokko besuchte er im Februar die Fondation Orient- Occident (FOO) und traf dort Jamila, Fatima, Isaak, Frank und viele andere in Rabat.
Die Fondation Orient-Occident im Internet.