AUS PANDORAS BÜCHSE KOMMT HOFFNUNG

Menschen sitzen draußen in einem Stuhlkreis um eine Feuerschale Im Wave Trauma Centre teilen die Teilnehmer*innen ihre Geschichten und finden gemeinsam Wege zur Heilung.Bild: ©EIRENE

Schon seit Beginn der 1980er Jahre entsendet EIRENE Freiwillige nach Nordirland, um die tiefen Gräben zwischen dem protestantischen und dem katholischen Lager zu überwinden und zur Versöhnung der gespaltenen Gesellschaft beizutragen. Über 200 meist junge Menschen engagierten sich seither in verschiedenen nordirischen Einsatzstellen. Das Wave Trauma Centre in Belfast ist eine davon.

Roter Doppeldeckerbus fährt vor der Peace Wall in Belfast
Die Peace Wall trennt katholische von protestantischen Vierteln in Belfast

Das Zentrum ist einzigartig in Belfast. Es bietet umfassende und vielfältige Unterstützung für Menschen, die in der Folge des Konflikts in Nordirland, insbesondere der sogenannten „Troubles“, traumatische Erfahrungen gemacht haben. Die Organisation wurde 1991 als Graswurzelorganisation gegründet und bietet heute eine Vielzahl von Dienstleistungen an, um den Opfern von Gewalt und deren Angehörigen zu helfen, die psychischen und physischen Auswirkungen von Trauma zu bewältigen.

HINTERGRUND UND KONTEXT

„Troubles“, so nennt man in Nordirland beschönigend einen jahrzehntelangen Konflikt, der von den späten 1960er Jahren bis zum so genannten Karfreitagsabkommen 1998 andauerte und ca. 2.500 Menschen das Leben kostete. Viele mehr wurden verwundet. Der Konflikt hinterließ bei vielen Überlebenden tiefgreifende psychische Wunden. Das Wave Trauma Centre entstand als Antwort auf den dringenden Bedarf an Unterstützung für die Opfer, die durch diesen Konflikt betroffen waren. In Konfliktsituationen, wie zum Beispiel in Nordirland oder in postkolonialen Gesellschaften, ist die Aufarbeitung  von kollektiven Traumata entscheidend für den Versöhnungsprozess. Gesellschaften müssen oft ihre Geschichte und die erlittenen Ungerechtigkeiten anerkennen, um Heilung zu ermöglichen. 

Traumaaufarbeitung kann dazu beitragen, Spannungen  abzubauen und ein gemeinsames Verständnis zu schaffen, was für den Frieden unerlässlich ist. Das Wave Trauma Centre bietet Überlebenden der Gewalt individuelle und Gruppentherapien an. Dies umfasst kognitive Verhaltenstherapie, traumafokussierte Therapien und andere therapeutische Ansätze, die speziell auf die Bedürfnisse von Überlebenden zugeschnitten sind. Es werden Programme zur Traumaverarbeitung angeboten, die den Betroffenen helfen, ihre Erfahrungen zu verstehen und zu verarbeiten. Dies kann durch Workshops, kreative Therapien oder auch durch körperorientierte Therapien geschehen. „Wir helfen den Menschen zu verstehen, was passiert ist und unterstützen sie auf ihrem Weg zu Wahrheit, Gerechtigkeit und Anerkennung“, so Cathy Curran, Advocacy Officer bei Wave.

Neben der psychologischen Unterstützung bietet das Wave Trauma Centre auch allgemeine Beratungsdienste an, die Betroffenen helfen, ganz praktische Probleme zu bewältigen, die aus ihren Erfahrungen resultieren, wie z. B. rechtliche oder finanzielle Fragen. 

Darüber hinaus arbeitet das Wave Trauma Centre aktiv mit der Community zusammen, um das Bewusstsein für die Folgen von Trauma zu schärfen und um integrative Projekte zu fördern, die die Heilung und den Zusammenhalt in der Community unterstützen. Und da das Trauma eines Individuums immer auch das Trauma der Familie ist, bietet Wave auch Programme für Angehörige von Traumapatient*innen an. Diese Programme helfen den Familienmitgliedern, die Belastungen, die mit der Unterstützung eines traumatisierten Menschen verbunden sind, besser zu verstehen und zu bewältigen

Die EIRENE-Freiwillige Friedericke zusammen mit einer Gruppe von traumatisierten Menschen. Ein fröhliches Gruppenbild, vor der Gruppe steht eine Torte mit Kerzen darauf.
Party im Wave Trauma Centre

ANSÄTZE UND METHODEN

Das Wave Trauma Centre verfolgt einen integrativen Ansatz, der körperliche, emotionale und soziale Aspekte der Heilung berücksichtigt. Die Therapeut*innen arbeiten nicht nur an der Behandlung der Symptome von Posttraumatischer Belastungsstörung (PTSD), sondern auch daran, den Überlebenden des Konflikts Fähigkeiten zur Bewältigung und Resilienz zu vermitteln.

Ein zentrales Element der Arbeit des Zentrums ist die Schaffung eines sicheren Raums, in dem die Klient_innen offen über ihre Erfahrungen sprechen können. Hier wird großen Wert auf Vertraulichkeit und Empathie gelegt, um eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Klient*innen und Therapeut*innen zu ermöglichen. „

Sehr oft zögern die Menschen, sich damit auseinanderzusetzen, was geschehen ist.“, so Sandra Peake, Direktorin von Wave. „Es ist wie Pandoras Büchse, bei der man nicht weiß, was herauskommt, wenn man den Deckel öffnet. Doch das Wichtigste ist, sich vor Augen zu halten, dass das Letzte, was aus Pandoras Büchse kommt, die Hoffnung ist.“ Und zweifelsohne gibt Wave vielen Überlebenden die Hoffnung und die Chance auf ein Leben ohne Trauma.

ERFOLGE UND HERAUSFORDERUNGEN

Das Wave Trauma Centre hat seit seiner Gründung Tausenden von Menschen geholfen, mit den Folgen von Trauma umzugehen. Viele Überlebende berichten von signifikanten Verbesserungen in ihrem emotionalen und psychischen Wohlbefinden. Dennoch steht die Organisation auch vor Herausforderungen, insbesondere
in Bezug auf die Finanzierung und die kontinuierliche Nachfrage nach ihren Dienstleistungen. EIRENE kooperiert seit vielen Jahren mit Wave und entsendet regelmäßig Freiwillige nach Nordirland zur Unterstützung von Wave.

Das Wave Trauma Centre hat auch einen wichtigen Einfluss auf die Gesellschaft in Nordirland. Durch die Bereitstellung von Dienstleistungen hat die Organisation zur Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen beigetragen und das Bewusstsein für die Folgen von Trauma geschärft. Dies hat zu einem offeneren Dialog über psychische Gesundheit und den Umgang mit der Geschichte des Konflikts geführt.

Insgesamt spielt das Wave Trauma Centre eine entscheidende Rolle in der Nachsorge und der Heilung für viele Menschen in Nordirland, die unter den Folgen des Konflikts leiden. Durch die Kombination aus psychologischer Unterstützung, Gemeinschaftsarbeit und Bildungsprogrammen trägt das Zentrum nicht nur zur individuellen Heilung bei, sondern auch zur gesellschaftlichen Versöhnung und zum Aufbau einer resilienten Gemeinschaft. Die Herausforderungen, vor denen die Organisation steht, unterstreichen die Notwendigkeit kontinuierlicher Unterstützung und des Engagements für psychische Gesundheit in einer Gesellschaft, die auf dem Weg zum Frieden noch immer die Auswirkungen eines langwierigen Konflikts verarbeitet.


von Ali Al-Nasani

Nordirland

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