Buddhismus und Raserei
Der Weg zum Frieden beginnt mit dem inneren Frieden in uns selbst. Marcel Connell erzählt seinen Weg zu Buddhismus und liebender Güte und läd zu einem kleinen Experiment ein.
Nach jahrelangen inneren und äußeren Kämpfen um Karriere, Geld und Immobilien, die mich letztlich nur in Burnout, Depression und Pleite geführt haben, war ich gezwungen, mein Leben grundlegend zu ändern. Ein Neuanfang musste her, der mich nach Thailand brachte. In einem kleinen Waldkloster im Nordosten Thailands wurde ich ordinierter buddhistischer Mönch. Dort habe ich durch Meditation und intensive Auseinandersetzung mit den Lehren Buddhas Frieden und Stille in mir (wieder-) gefunden. Meinen Weg zum inneren Frieden teile ich gerne, da der innere Frieden der Anfang von allen Arten von Frieden in der Welt ist. Denn Frieden auf unserem Planeten gibt es nur durch Frieden auf den Kontinenten und Nationen. Den gibt es nur durch Frieden in Regionen und Städten. Den gibt es nur durch Frieden in Gemeinden und Nachbarschaften. Den gibt es nur durch Frieden in Straßen und Häusern. Den gibt es nur durch Frieden in Familien und persönlichen Beziehungen. Den gibt es nur durch Frieden in uns selbst.
Ich selbst war in meinem früheren Leben als Bankmanager ein sehr zorniger Mensch im Straßenverkehr. Wenn jemand mir die Vorfahrt nahm oder durch überhöhte Geschwindigkeit innerhalb einer geschlossenen Ortschaft das Leben von Fußgänger_innen und insbesondere Kindern gefährdete, bach in mir regelmäßig eine unbändige Wut aus. Die Auseinandersetzung mit dieser inneren Wut war ein wichtiger Teil meiner buddhistischen Ausbildung. Durch meine Unterweisungen, unter anderem von seiner Heiligkeit, dem 14. Dalai Lama, habe ich erkannt, was hinter der unbändigen Wut steckte: die fehlende sokratische Erkenntnis, dass ich nicht weiß. Um im Beispiel zu bleiben: Den Grund für das Fahrverhalten eines anderen kenne ich nicht. Vielleicht muss eine hochschwangere Frau ins Krankenhaus gebracht werden oder die Fahrerin des Wagens kann sich aufgrund von Schmerz oder Verletzung nicht richtig konzentrieren. Oder, oder, oder – ich kann es schlicht nicht wissen. Natürlich haben Geschwindigkeitsbeschränkungen in Ortschaften ihren Sinn, sie schützen das Leben von Fußgänger_innen, sie schützen die Nachtruhe von Anwohner_innen, sie sind wichtig für die Umwelt usw., das will ich alles nicht infrage stellen. Aber meine unbändige Wut half niemandem, sie hat nur mir geschadet und sie hat das Verhalten von rasenden Menschen nicht geändert …
"... ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass Konflikte und Kriege nicht außerhalb von uns stattfinden ..."
Die Erkenntnis, dass ich nicht weiß, warum Menschen sich nicht an die Verkehrsregeln halten, ermöglicht mir heute, mich in solchen Situationen anders zu verhalten: Statt ins Urteil gehe ich ins Mitgefühl und kultiviere Gedanken wie: „Ich kann die Situation nicht vollumfänglich beurteilen“, oder ich
reflektiere und frage mich: „An welcher Stelle in meinem Leben verhalte ich mich ähnlich?“ Wo bin ich der „Raser“, der im übertragenen Sinne gesprochen zu dicht auffährt, andere Menschen drängt, etwas für ihn zu erledigen, ohne Rücksicht auf Regeln? Ich habe gelernt, anders mit negativen Gefühlen wie Wut, Angst und Neid umzugehen. Für Situationen, die früher solche Gefühle in mir ausgelöst haben, habe ich heute eine andere Herangehensweise kultiviert: Mit Bewusstheit, Offenheit, Neugier und einem urteilsfreien Blick aus der Vogelperspektive lasse ich mich nicht in den Strudel von negativen Gefühlen ziehen. Somit bleibe ich viel handlungsfähiger und habe damit viel bessere Chancen, positiv auf das Verhalten anderer zu wirken. Mein innerer Frieden, für den ich so dankbar bin, springt von mir auf andere über. Nun ist es leider noch nicht so, dass das immer sofort funktioniert, aber in mindestens 95 Prozent aller Fälle – und an dem Rest arbeite ich noch.
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Die drei Säulen für inneren Frieden
1. Achtsamkeit, der Zustand von urteilsfreier Wachheit als Beobachter des gegenwärtigen Augenblicks.
2. Erkenntnis, dass unser Verstand uns vorgaukelt, die Situation beurteilen zu können, sowie das Verstehen, dass unsere Wahrnehmung immer subjektiv ist.
3. das Kultivieren von bedingungslosem Mitgefühl.
Gewaltfreiheit (Ahimsa im Sanskrit) bildet dabei die Grundlage für alle drei Säulen. Durch eine Kultivierung dieser drei Säulen können wir dazu beitragen, mehr Frieden in unserer Welt zu erleben. Das Gegenteil von Gewalt ist die bewusste Anwendung von Liebender Güte. Diese lässt sich wie ein Muskel trainieren. Sie hilft uns, mehr Miteinander und Verbundenheit zu spüren und ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass Konflikte und Kriege nicht außerhalb von uns stattfinden, sondern in uns selbst beginnen – verursacht durch sogenannte Geistesgifte: Anhaftung, Gier und Angst.
Buddhismus ist ein Weg der Selbsterfahrung. Mit diesem Experiment kannst Du mehr Frieden in Dein Leben bringen: In den nächsten sieben Tagen nimmst Du Dir jeden Abend ungefähr 3 Minuten Zeit, um den Tag Revue passieren zu lassen. Erforsche, an welchen Stellen Du einen – sei es auch noch so kleinen – Akt von Gewalt ausgeübt hast: Wo warst Du – vielleicht ganz subtil – übergriffig, manipulativ, oder aggressiv? Schreibe das ohne Vorwurf auf. Beobachtung und Reflexion sind bereits ein großer Schritt nach vorn auf dem Weg zu mehr innerem Frieden. Frag Dich dann, was Du stattdessen besser gesagt, getan oder gedacht hättest, um mehr Frieden in die Welt zu bringen. Nimm Dir vor, dies beim nächsten Mal in die Tat umzusetzen. Du kannst auch als „Ausgleich“ und „Wiedergutmachung“ z. B. dein ehrenamtliches Engagement verstärken oder regelmäßig Geld für Friedensprojekte spenden. Das führt nicht nur zu einer Verbesserung Deiner Zufriedenheit (in der das Wort Frieden bereits enthalten ist), sondern das wirkt sich auch auf die Menschen in Deiner Umgebung aus. Dann beobachte neugierig, was geschieht, und ziehe nach sieben Tagen Bilanz. Ich praktiziere diese Innenschau noch heute.
Und bitte: Glaube nichts von dem, was ich hier geschrieben habe, sondern überprüfe das ganz einfach für Dich selbst. Nur wenn es für Dich stimmt, ist es wahr.
Ich wünsche dir viel Inspiration mit dem Experiment und inneren Frieden für Dich und alle fühlenden Wesen.
von Marcel Connell