EIRENE im Wandel der Zeit – Drei Zivis erinnern sich
Die Zeichen der Zeit zu erkennen und dann zu handeln: Was schon für die Gründungsväter und -mütter galt, hat bis heute bei EIRENE Bestand. Ende der 1970er-Jahre leisteten Fred Balke, Helmut Lorscheid und Hanns-Ulrich Barde ihren Zivildienst in der damals neuen Geschäftsstelle in Neuwied. Sie waren Kinder ihrer Zeit, engagierten sich in der Anti-Apartheit-Bewegung und für die Solidarität mit Chile. Sie trafen auf einen Verein im Umbruch, der ihnen Entwicklungspotenziale bot, die ihr weiteres Leben beeinflussten.
„Den Kriegsdienst zu verweigern, war für mich eine klare Sache, mein eigener Vater musste mit 15 Jahren in der Wehrmacht kämpfen“, erinnert sich Fred Balke. Er wurde als Kriegsdienstverweigerer anerkannt und begann seinen Zivildienst noch in der alten EIRENE-Geschäftsstelle in Königswinter-Römlinghoven 1976. Dort traf er auf den damaligen Personalreferenten Hajo Jansen, der selbst Arbeiterpfarrer in Chile gewesen war und nach dem Pinochet-Putsch verhaftet wurde. Jansen kam erst nach intensiven Bemühungen von Freunden frei und entkam so wohl Schlimmerem. Für ihn war es kein Widerspruch, Teil der katholischen Kirche zu sein und sich gleichzeitig sehr konkret politisch zu engagieren. Eine Haltung, die den jungen Zivildienstleistenden Balke, Lorscheid und Barde imponierte. Doch Jansen wusste, dass die Verbindung von praktiziertem Glauben und handfester Politik nicht jedem schmeckte, ja für viele sogar ein Widerspruch war. In einem Brief an Helmut Lorscheid formulierte er es so: „Aus Erfahrung weiß ich, dass man sehr vorsichtig sein muss, wenn man christliche Nächstenliebe in politische Aktivität übersetzen will.“
Das Weltgeschehen der 1970er-Jahre stellte viele Institutionen vor Grundsatzfragen. Auch Entwicklungs- und Friedensdienste wie EIRENE mussten sich fragen, wie weit sie in politischen Debatten Stellung beziehen sollten. Der ehemalige Geschäftsführer Jean-Luc Tissot beschreibt das damalige Spannungsfeld so: „Was ist wichtiger: Projektarbeit im Süden oder politische Aufklärungsarbeit im Norden, konkrete Lebensverbesserungen für die Menschen in den Projekten oder die politische Forderung nach Abschaffung aller Formen von struktureller Gewalt (…)?“
Der Baustaub in der neuen Geschäftsstelle in Neuwied hatte sich gerade gelegt, da begannen die jungen Zivis sich schon in die Arbeit zu stürzen. Mit viel Einsatz wurde eine „Entwicklungspolitische Woche“ zusammen mit der Volkshochschule Neuwied 1977 organisiert. Barde verwandelte in Zusammenarbeit mit einer Initiativgruppe Teile der Geschäftsstelle in ein Jugendzentrum. Neben schulischer Begleitung der Jungen und Mädchen wurden auch deren Familien unterstützt, die nach Neuwied als „Gastarbeiter_innen“ gekommen waren und jetzt unter untragbaren Bedingungen leben mussten. „Auch wenn es den Begriff damals noch nicht so gab, haben wir interkulturelle Arbeit für Integration gemacht“, sagt er heute rückblickend.
Die Zivis lebten in einer WG im zweiten Obergeschoss im EIRENE-Haus. Wenn sie auf die damalige Zeit zurückblicken, erinnern sie sich, dass die Spannungen über die Ausrichtung des Vereins auch im Büroalltag zu spüren waren. Mit einigen der damaligen Gebräuche konnten sie sich nur schwer anfreunden, oder wie es Helmut Lorscheid ausdrückt: „Nach Feierabend standen wir nicht mehr für Gebetskreise zur Verfügung.“
"EIRENE hat mit seiner Personalpolitik schon damals Agraringenieure aus Eritrea in den Tschad geschickt."
Trotz allem fanden sie in EIRENE einen Ort, der ihnen persönliches Wachstum ermöglichte. Auch wenn sie als junge Männer nicht mit allem einverstanden waren, so überwiegt in der Rückschau das Positive: „EIRENE hat mit seiner Personalpolitik schon damals Agraringenieure aus Eritrea in den Tschad geschickt. Das war für damalige Verhältnisse sehr ungewöhnlich.“ beschreiben Lorscheid und Barde progressive Tendenzen im Entwicklungsdienst, die sich im Bereich der Süd-Süd-Kooperationen bis heute fortsetzen. Fred Balkes Engagement für den chilenischen Widerstand gegen Pinochet überdauerte seine Zeit bei EIRENE. Um den Widerstand der Kirche gegen die grausame Diktatur zu unterstützen, gründete er gemeinsam mit Gleichgesinnten den Friedenspreis für die Vicaria de la Solidaridad (kirchliche Organisation in Chile), der an das Erzbistum Santiago, Chile, verliehen wurde. Zunächst war ein Preisgeld von 30.000 DM anvisiert, dank der Hingabe der Gruppe um Balke wurden jedoch über 500.000 DM gesammelt. Ein großer Erfolg, der jedoch für ihn mit bitterem Anhang daherkam. Nach seinem Studium der Theologie wollte er als sogenannter „Laientheologe“ im kirchlichen Dienst im Erzbistum Köln arbeiten, doch ihm wurde unmissverständlich klar gemacht, dass er das vergessen könne. Die Kirchenoberen waren überhaupt nicht angetan gewesen, wie der junge Balke in den Reihen ihrer Mitglieder politisch mobil gemacht hatte.
Nach den verheerenden persönlichen Konsequenzen entschied sich Balke, die Konfession zu wechseln, und wurde evangelischer Pfarrer in Frankfurt. Helmut Lorscheid wurde freier Journalist und arbeitete später unter anderem für die Sendung „Monitor“ in der ARD. Hanns-Ulrich Barde zog nach Bremen. Dort gründete er den Sportgarten e.V., einen Verein, der Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Verhältnissen unterstützt. Außerdem war er maßgeblich dafür verantwortlich, dass Bremen mit dem südafrikanischen Durban eine Städtepartnerschaft einging. Noch heute engagiert er sich für Jugendarbeit in Bremen und Durban.
von Stefan Heiß