Expertise aus dem Sahel für den Sahel

Yéri Alice Kambiré ist neue Süd-Nord-Fachkraft aus Burkina Faso und unterstützt seit Anfang 2025 das NGO-Netzwerk Fokus Sahel in Berlin. Ihre Expertise ist gerade jetzt, wo sich die politische Situation im Sahel im Umbruch befindet, gefragter denn je.
Bereits als junge Frau war Yéri Alice Kambiré, genannt Alice, politisch interessiert. „Der internationale Kampf gegen die Taliban und Al-Qaida Anfang des 21. Jahrhunderts, das schien für uns damals in Burkina Faso so weit weg zu sein. Als es dann in Westafrika, konkret in Nigeria mit Selbstmordanschlägen anfing, da konnten wir es erst kaum glauben. Heute hat sich der Dschihadismus in der ganzen Sahel-Zone verbreitet. Was damals im Sahel verpasst wurde, war eine gemeinsame Antwort auf die dschihadistische Bedrohung in den betroffenen Ländern. Es hat an Solidarität gefehlt.“ Wie viele Menschen in Westafrika hat Alice eine bewegte Vergangenheit hinter sich. In ihrem Heimatland Burkina Faso gibt es aufgrund von Kämpfen zwischen bewaffneten militanten Gruppen und staatlichen Sicherheitskräften heute über 2 Millionen Binnenflüchtlinge, und das bei einer Bevölkerung von knapp über 23 Millionen Menschen. Sie selbst blickt auf viele Jahre in der Friedensarbeit zurück, die sie jetzt ab Anfang 2025 gewinnbringend für Fokus Sahel in Berlin einsetzen will.

Das Ende der militärischen Kooperation der Sahel-Länder Mali, Niger und Burkina Faso mit westlichen Staaten hat ein neues Zeitalter eingeläutet. Großangelegte internationale Missionen wie MINUSMA, an der auch die Bundeswehr beteiligt war, sind Geschichte. Die gewählten Regierungen der letzten Jahre wurden durch Putsche allesamt durch militärisch geführte ersetzt. „Wir sind generell gegen die Schwarz-Weiß-Malerei, die in puncto Sahel in der deutschen Öffentlichkeit vorherrscht“, sagt Grit Lenz, die Koordinatorin des Netzwerks Fokus Sahel. „Auch wenn wir Demokratie generell für die anzustrebende Regierungsform halten, können wir nicht verleugnen, dass die militärisch geführten Regierungen im Sahel einen großen Rückhalt in der Bevölkerung haben. Sie genießen ein höheres Ansehen als die politischen Eliten der sogenannten ‚Fassadendemokratien‘ der letzten Jahrzehnte“, führt sie fort. „Die Erwartungen an Deutschland als (ziviler) Kooperationspartner sind in den Sahel-Ländern ungebrochen hoch, ganz anders als gegenüber der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich, das ein Scheitern in seinen Bestrebungen, als regionale Ordnungsmacht im Sahel zu wirken, hinnehmen musste. Deshalb werden wir jetzt auch dank Alices Unterstützung unsere Lobby- und Informationsarbeit verstärken und neue Formate entwickeln, um für eine Sahel-Politik Deutschlands zu werben, die Positionen und Forderungen von zivilgesellschaftlichen Engagierten aus dem Sahel besser berücksichtigt.“
Viele der aktuellen Herausforderungen im Sahel sind länderübergreifend. Sei es der gewaltsame Kampf militanter islamistischer Gruppen oder die Auswirkungen der fortschreitenden Klimakrise. Alice war über Jahre beim „West Africa Network for Peacebuilding“ (WANEP) aktiv, das Büros in 15 Ländern in Westafrika unterhält, und kennt deshalb die verschiedenen Nationen unterhalb der Sahara sowie deren Friedensbedarfe gut. In ihrer Rolle als Friedensfachkraft wird sie vermehrt das Wissen der Mitgliedsorganisationen von Fokus Sahel in Deutschland und deren internationalen Partnern bündeln. „In den Anfang 2025 veröffentlichten Afrikapolitischen Leitlinien der noch von Olaf Scholz geführten Regierung war bereits der Paradigmenwechsel absehbar: weg von klassischer Entwicklungszusammenarbeit, hin zu wirtschaftlichen Investitionen. Dass eine solche Politik den Sahel aufgrund seiner instabilen Sicherheitslage vernachlässigt, ist nicht von der Hand zu weisen. Wir werden das Wissen unseres breiten zivilgesellschaftlichen Netzwerkes, dem auch Menschen aus der Wissenschaft angehören, nutzen, um einen Informationsdienst aufzubauen. Dieser richtet sich mit Analysen und Informationen aus dem Sahel an Entscheidungstragende der deutschen Außen- und Entwicklungspolitik, und soll u.a. dazu beitragen, zivile Friedensarbeit im Sahel fortzusetzen und wirksamer zu gestalten“, sagt Grit Lenz mit Blick auf den mit den Bundestagswahlen im Februar 2025 zu erwartenden politischen Wandel in Berlin. Alice kommt also sicherlich zur richtigen Zeit, um Fokus Sahel zu unterstützen.
„Man kann nie wissen, wann man zu einem Flüchtling wird. Schau in die Ukraine“,
sagt Alice. „Wie solidarisch der Westen sich dort gezeigt hat, das hat viele Fragen in Afrika auf den Plan geworfen. ‚Warum werden wir nicht so behandelt?‘, haben sich viele gefragt. Meiner Meinung nach sind zwei Dinge wichtig: Erstens müssen die Länder des Sahels bereit sein, gemeinsam Lösungen für ihre Probleme zu suchen, man kann nicht darauf warten, dass der Westen oder wer auch immer einspringt. Zweitens müssen wir natürlich auf die globalen Ungerechtigkeiten schauen, die auch den Sahel betreffen. Wenn Rohstoffe bei uns abgebaut werden, um dann in anderen Ländern verarbeitet zu werden, dann können wir nicht nur mit 10 Prozent des Erlöses abgespeist werden. Eine faire Zusammenarbeit wäre bei einer Gewinnbeteiligung von 50 Prozent gegeben“, erklärte die Burkinabe. Gemeinsam mit Grit Lenz und den Mitgliedsorganisationen des Netzwerks Fokus Sahel wird sie in den nächsten zwei Jahren daran arbeiten, dieses Bewusstsein auch in den politischen Kreisen Berlins zu schärfen und Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, die zur Förderung eines friedenspolitischen Engagements Deutschlands in den Sahel-Ländern beitragen.
von Stefan Heiß