Indigenous People in Kanada –Alles andere als traumhaft

Von links nach rechts: Krysel Cole, Serenity Joo Hee-Jung, Kate Ready, Terri Wiest, Kirsten Wurmann

Aus europäischen Augen sieht vieles in Kanada, anders als im Nachbarland USA, traumhaft aus. Keiner verschließt seine Haustür und alle haben eine Krankenversicherung, soweit das Klischee. Celine Giese hat sich in ihrem EIRENE-Freiwilligendienst mit indigenen Rechten auseinandergesetzt. Sie gibt einen Einblick in das kanadische Justizsystem, das strukturell rassistisch gegenüber Indigenous People ist.

Von außen betrachtet wirkt das Zusammenleben Indigener und nicht-indigener Menschen in Kanada traumhaft, doch in Wahrheit leben wir in einem gebrochenen, strukturell rassistischen System“, so Kirsten Wurmann. Sie gründete 2012 das Prison Libraries Committee in Winnipeg, eine Organisation, die sich für Inhaftierte einsetzt.

Menschen aus indigenen Völkern sind in Kanada sowohl auf der Opfer-, als auch auf der Täter_innenseite von Verbrechen überrepräsentiert. Am stärksten betroffen sind unter anderem die Provinzen Manitoba und Alberta, in denen auch die EIRENE-Freiwilligen ihren Dienst absolvieren. Hier stammen über die Hälfte der Inhaftierten aus indigenen Völkern. Dabei machen diese gerade einmal fünf Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes aus. Während die Anzahl von nicht-indigenen Häftlingen über die letzten Jahrzehnte hinweg kontinuierlich gesunken ist, nimmt die Anzahl der indigenen Menschen in kanadischen Gefängnissen hingegen stetig zu.

Kolonialgeschichte mit Folgen

Doch woran liegt diese Überrepräsentation der Indigenous People in kanadischen Haftanstalten? Die Ursachen hierfür sind vor allem in der Kolonialgeschichte Kanadas zu finden, unter der sie bis heute leiden: Viele von ihnen haben noch immer keinen Zugang zum Gesundheitssystem, begrenzte Bildungsmöglichkeiten und leiden unter Armut. Unter anderem die Wegnahme der Kinder indigener Familien und ihre Unterbringung in „weißen“ Familien in den 1960er Jahren, mit dem Ziel einer Erziehung nach euro-kanadischen und christlichen Werten, führte zur Zerstörung familiärer und gesellschaftlicher Beziehungen. Diese generationsübergreifenden Traumata haben für viele noch heute Sucht- und psychische Erkrankungen zur Folge.

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Das kanadische Justizsystem basiert auf westlichen Werten. Während Gerechtigkeit bei den indigenen Völkern vor allem beziehungsorientiert betrachtet wird und der Fokus auf Heilung, Versöhnung und Reintegration liegt, so werden Verbrechen in der westlichen Welt als Verbrechen am Staat, anstatt an der dadurch verletzten Person verstanden. In der westlichen Welt wird ein Gericht nur aktiv, wenn gegen ein Gesetz verstoßen wurde, wohingegen es bei indigenen Völkern im nordamerikanischen Raum bereits dann zu einer gemeinsamen Konfliktregelung kommt, wenn sich eine Person verletzt fühlt.

Doch auch das kulturell-bedingte Verhalten indigener Kulturen könnten zu einer Ausweitung des Problems beitragen. Das Vermeiden von Augenkontakt während eines Gerichtsprozesses, welches bei Indigenous People als Zeichen des Respekts gilt, könnte zum Beispiel als Zeichen der Schuld missinterpretiert werden.

Das Prison Libraries Committee versucht innerhalb der Gefängnisse für bessere Bedingungen zu sorgen. Es setzt sich für die Grundrechte der Gefangenen ein und möchte ihnen die Möglichkeit zur Weiterbildung geben. Hierzu versorgen sie Gefängnisse mit Büchern und organisieren Workshops zum kreativen Schreiben. Das soll dazu beitragen, dass die Inhaftierten neue Kompetenzen entwickeln können, die ihnen den Wiedereinstieg in die Berufswelt und die Gesellschaft erleichtern. „Wir kümmern uns um die Grundrechte der Gefangenen. Was wir tun sollte nicht von Freiwilligen gemacht werden müssen, sondern bezahlte Arbeit sein, “ sagt Kirsten Wurmann über die Arbeit ihrer Organisation.

von Celine Giese, derzeit Freiwillige bei Hospitality House