Mein Weg bei EIRENE

Vielleicht kennen Sie den Satz von Mahatma Gandhi: „Alles, was ihr für mich ohne mich tut, tut ihr gegen mich.“ Ich finde viel Wahrheit in ihm, besonders wenn ich auf die gängigen Praktiken der Internationalen Zusammenarbeit und der Entwicklungszusammenarbeit schaue. Werden die Menschen, die durch Projekte und Programme unterstützt werden sollen, wirklich nach ihren Bedürfnissen und Meinungen gefragt? Oder wird über ihre Köpfe hinweg entschieden, was gut für sie ist?

Der Rassismuskritische Veränderungsprozess (RKVP), den EIRENE seit mehreren Jahren durchläuft, ist für mich ein guter Rahmen um Grundannahmen der Zusammenarbeit zwischen dem Globalen Süden und dem Globalen Norden zu korrigieren. Er hat die Ehrlichkeit in der Kommunikation zwischen EIRENE und ihren internationalen Partnerorganisationen erhöht. Dieser Zugewinn an Augenhöhe ist ein guter Nährboden für fruchtbare Kooperation. Gerade weil EIRENE den RKVP konsequent angeht, ist er kein einfacher Prozess. Er zwingt alle Beteiligten aus ihren wie auch immer gearteten Komfortzonen.

Ich war EIRENE-Fachkraft in der Demokratischen Republik Kongo von 2011 bis 2013 und arbeite seit 2016 bei EIRENE als Länderreferent für den Sahel. Ich kannte den Verein bereits, bevor der RKVP begann seine Wirkung in den unterschiedlichen Organen der Organisation zu entfalten. Meine berufliche Laufbahn in der Internationalen Zusammenarbeit begann bereits 1994. Damals war es noch undenkbar, dass ein „Ausländer“ in Deutschland in der programmatischen und konzeptionellen Schaltzentrale einer internationalen Organisation wie EIRENE arbeitet. Und dann auch noch in direktem Kontakt zu dem großen staatlichen Geldgeber, dem Ministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ). Seitdem ist viel passiert. Ich komme gebürtig aus dem Tschad und falle natürlich auf, wenn ich heute bei offiziellen Expert_innen-Treffen mit Ministerien oder anderen Institutionen in einer sonst rein „weißen“ Runde sitze. Das kann schon mal Druck verursachen, wenn ich dann meinen Mund aufmache und was sagen will. Ich falle auf.

Daniel Djedouboum im gemeinsamen Planungsworkshop mit Vertreter_innen der malischen Partnerorganisationen 2023.

Auch unsere Partnerorganisationen im Sahel mussten sich erstmal daran gewöhnen, dass ihr Ansprechpartner in Europa ein gebürtiger Afrikaner ist. Kulturelle Barrieren sind mir im Umgang mit afrikanischen Kolleg_innen fremd, andererseits können wir uns auch nicht hinter Floskeln verstecken. Bequem ist das nicht, häufig höre ich von unseren Partnerorganisationen: „Oh, der Daniel ist so pingelig“, das waren sie von anderen nicht gewohnt, die stets die positiven Seiten der Zusammenarbeit betonten und schwierige Themen manchmal lieber umschifften. Das gibt es bei mir nicht, wenn mir Partner etwas vorschlagen und ich habe das Gefühl, dass es nicht realistisch ist, dann kommuniziere ich das direkt. Das mag erstmal unangenehm sein, aber im Endeffekt konnte ich so stabile und dauerhafte Arbeitsbeziehung aufbauen, und die brauchen wir. 

Gerade die Krisen in der Sahelzone in den letzten Jahren, die eskalierende Gewalt zwischen militanten Gruppen und staatlichen Akteuren mit vielen zivilen Opfern, die Coronapandemie und die jüngsten Militärputsche in Mali, Burkina Faso und Niger, einhergehend mit internationalen Sanktionen, stellen große Herausforderungen dar. Dass die Arbeit trotzdem weitergeht, liegt an dem großen Vertrauensverhältnis zwischen uns und unseren Partnerorganisationen. Das liegt auch daran, dass bei EIRENE Entscheidungen über verschiedene Organe hinweg im Konsens getroffen werden. So sind vom Vorstand über die Geschäftsführung bis zum Team der Internationalen Friedenskooperationen viele Personen bei strategischen und konzeptionellen Entscheidungen beteiligt. Das Prinzip gilt auch für Entscheidungen, die wir mit Partnerorganisationen unserer Friedensprojekte treffen. Da gibt es kein „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“, soll konkret heißen: Wenn uns eine Entscheidung im Nachhinein nicht gefällt, machen wir nicht den Entscheidungsfindungsprozess danach einfach wieder rückgängig. Das Beharren auf unseren gemeinschaftlichen Entscheidungen fördert Kontinuität in den Partnerschaften, die wiederum beiden Seiten Stabilität für Krisen gibt. So konnten wir als eine der ersten Organisationen unsere Partner über die Gefahren von Corona aufklären, als andere internationale Organisationen noch damit beschäftigt waren, ihr Personal zu evakuieren. Als die Sanktionen für den Niger nach dem jüngsten Putsch beschlossen wurden, hat EIRENE sofort Partnerorganisationen mit einbezogen und gemeinsam mit ihnen das Sicherheitsmanagement für unser Personal der neuen Situation angepasst. Das sind nur zwei Beispiele, wie wir gemeinsam mit unseren Partnern dank guter Beziehungen flexibel auf plötzliche Herausforderungen reagieren konnten.

Souveränes Mitglied und nicht bloß fürs Gruppenbild mitdabei

Meine Motivation, mich bei einem Organisationsentwicklungsprozess gegen Rassismus zu beteiligen ist intrinsischer Natur. Das mag nicht für jeden so sein, das ist okay. Für mich war es wichtig, dass ich als schwarze Person nicht nur mit an den Tisch, oder, im übertragenen Sinne, aufs Gruppenbild geholt werde, sondern wirklich Entscheidungen treffen kann. Das ist bei EIRENE der Fall. Deshalb fühle ich mich auch nicht für irgendeine Art von Publicity ausgenutzt, sondern als souveränes Mitglied der EIRENE-Belegschaft – und bin seit 2022 auch Mitglied des Betriebsrats. Ich sehe natürlich, dass es besonders für weiße Menschen Druck gibt, sich in dem Prozess zu engagieren, da niemand als „Rassist_in“ abgestempelt werden will. Nicht jeder trägt so einen Prozess von Beginn an mit voller Leidenschaft. Ich hoffe jedoch, dass mit der Zeit immer mehr Menschen die Wichtigkeit des RKVPs erkennen und die positiven Aspekte und Resultate sehen. Wir pflegen heute einen viel ehrlicheren Umgang miteinander, sowohl in unseren Arbeitsteams, im Vorstand oder in der Kommunikation mit unseren Partnerorganisationen. Das mag nicht immer bequem sein, macht uns aber als Gemeinschaft und Organisation stärker, und davon können der Frieden und die Entwicklung auf der Welt nur profitieren.


von Daniel Djedouboum

EIRENE Magazin

Kooperationen und Entwicklungszusammenarbeit zwischen dem Globalen Süden und dem Globalen Norden sind bis heute durch postkoloniale Strukturen und Rassismus geprägt. EIRENE als Friedensdienst agiert in diesem Bereich. Deshalb ist der Verein seit über 10 Jahren in einem Veränderungsprozess um Rassismus in der Friedensarbeit zu bekämpfen. In der Magazin-Sonderausgabe berichten wir ehrlich und authentisch über Erfolge und Schmerzerfahrungen auf diesem Weg.