Nordirland: Klimaneutral in den Friedensdienst

Jolina Toillié und Louisa Fleiner auf dem Weg zu ihrer Einsatzstelle Corrymeela in Nordirland

Jolina Toillié und Louisa Fleiner sind seit Sommer 2022 Freiwillige in Nordirland bei Corrymeela. Hier berichtet Jolina über ihre gemeinsame Anreise auf dem Fahrrad und ihr erstes halbes Jahr im nordirischen Versöhnungszentrum.

Alles begann mit einer Fahrradtour. Ende August, es ist warm und ich mache mich mit einer Freundin auf den Weg nach Leer. Leer ist eine kleine Stadt in Deutschland an der Grenze zu den Niederlanden. Dort steigen wir mit unseren Fahrrädern aus dem Zug, denn von dort aus geht es für mich bis nach Nordirland mit dem Fahrrad. Die ersten sieben Tage verbringen wir komplett in der Natur, zelten und kochen draußen. Die Gegend ist größtenteils flach, wir durchqueren immer wieder kleine Dörfer und am Rand unseres Weges grasen oft Schafe. Nach einer Woche erreichen wir Amsterdam. Der Kontrast zu den Tagen zuvor könnte kaum größer sein. Die Reise ist hier für meine Freundin zu Ende. Von nun an fahre ich mit Louisa, einer anderen EIRENE-Freiwilligen, zusammen zu unserem Friedensdienst nach Nordirland weiter. Wir nehmen das Schiff von Amsterdam nach Newcastle in England. Von dort aus geht es mit dem Fahrrad bis nach Cairnryan an der schottischen Küste. Die Strecke geht mal am Meer und mal am Fluss entlang, mal die Berge mit Heidefeldern am Rand hoch und dann wieder runter und zwischen vielen Schaf- und Kuhwiesen entlang. Wir haben Glück mit dem Wetter, es ist durchgehend trocken. Insgesamt hat uns die Fahrradtour Spaß gemacht, es war eine tolle Erfahrung und eine gute Möglichkeit, einander besser kennenzulernen.

Zehn Tage später sind wir in Belfast angekommen, dort wohnen unsere Gastfamilien. Denn neben der WG in Corrymeela hat jede_r Freiwillige eine Gastfamilie, um für eine Auszeit auch mal in Belfast übernachten zu können.

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Nach zwei sehr schönen Tagen in Belfast sind wir mit etwas Nervosität, aber auch starker Vorfreude nach Corrymeela aufgebrochen. Corrymeela liegt etwas abgelegen, vier Kilometer entfernt von Ballycastle, einem kleinen und sehr schönen Küstenort im Nordosten. Es ist ein Versöhnungszentrum, das 1965 von dem Pfarrer Ray Davey gegründet worden ist. Ziel von Anfang an war es, einen Ort der Gewaltfreiheit zu schaffen, an dem alle Menschen willkommen sind und voneinander lernen können. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Versöhnungsprozess innerhalb der nordirischen Gesellschaft und der historischen Aufarbeitung des Nordirlandkonfliktes. Dabei wird auch ein Fokus auf die Unterstützung ausgegrenzter Gruppen gelegt, wie beispielsweise Menschen mit Behinderungen, mit Fluchterfahrung und Menschen, die dem  LGBTQI+-Spektrum zugehörig sind.

In Corrymeela wurden wir sehr herzlich willkommen geheißen. Schnell hat es sich wie ein zweites Zuhause angefühlt. Die Natur und Landschaft sind atemberaubend. Wir haben fast immer einen Ausblick aufs Meer und in ein paar Minuten ist man am Strand. Louisa geht dort fast täglich schwimmen und laufen. Gemeinsam gehen wir häufig an den Klippen wandern. Wir sind im September mit sechs Freiwilligen aus Kanada, den USA und Deutschland gestartet. Im Januar kamen dann noch weitere fünf Freiwillige aus den USA und Uganda dazu. Wir sind als  Gruppe sehr stark zusammengewachsen, wir unterstützen uns gegenseitig, arbeiten als Team gut zusammen und haben ein gutes Vertrauensverhältnis.

Dieser Artikel ist im aktuellen EIRENE Magazin erschienen. Hier kostenlos runterladen.

Wir leben alle zusammen in Coventry, einem großen Haus auf dem Corrymeela-Gelände für Freiwillige und ab und zu für Angestellte. Alle Freiwilligen haben ein eigenes Zimmer und wir haben mehrere Gemeinschaftsräume und eine Gemeinschaftsküche. In unserer Freizeit verbringen wir viel Zeit zusammen, ob beim gemütlichen Filmabend oder beim Besuch eines Eishockeyspiels der Belfast Giants, wir haben „Craic“ (meint: viel Spaß), wie man hier sagt.

Jede Woche arbeiten wir etwa mit einer bis drei Gruppen. Dabei handelt es sich um Jugendgruppen, Familien oder Erwachsenengruppen. Sie kommen mit unterschiedlichen Absichten und Zielen nach Corrymeela. Einigen geht es vor allem darum, sich über den Nordirlandkonflikt zu informieren, andere erholen sich hier von ihrem stressigen Alltag, wollen als Team mehr zusammenwachsen oder die Zeit größtenteils zum Reflektieren nutzen.

Teilweise leiten wir Seminareinheiten, manchmal unterstützen wir die Seminarleitung oder schauen und hören hauptsächlich zu. Unsere Aufgabe ist es immer, die Gruppe willkommen zu heißen, Tee und Kaffee für Pausen bereitzustellen und beim Decken für Mahlzeiten zu helfen. Zudem ist es unsere Aufgabe, der Gruppe dabei zu helfen, sich hier wohl und sicher zu fühlen. Wir sind Ansprechpersonen für die Teilnehmenden und quatschen mit ihnen in den Pausen. Für uns ist die Arbeit sehr erfüllend, lehrreich, spannend und abwechslungsreich.

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Wir genießen die Vielfältigkeit der Programme und Menschen, da wir dadurch viel lernen können und die unterschiedlichen Lebensgeschichten und Perspektiven unfassbar spannend sind. Für Louisa war ein TIA-Training (ein Training für eine bewusste und informierte Herangehensweise zu traumatisierten Klient_innen) für Sozialarbeitende besonders lehrreich und spannend, da sie einerseits von dem Programm als auch von dem Austausch mit den Teilnehmenden viel lernen konnte. Ihre Rolle war neben dem Teilnehmen auch das Leiten von  Auflockerungsübungen und Yoga.

Sehr prägend für mich war die Begegnung mit einer Gruppe von Jugendlichen, die hier waren, um Stereotypisierung, Diskriminierung und Konflikte durch geschichtliche Ereignisse besser zu verstehen. Es war sehr spannend für uns zu sehen, wie das anspruchsvolle Programm angeleitet wurde. Wir durften auch ein paar Sessions  anleiten und wir haben eine starke Verbindung und ein gutes Vertrauensverhältnis zu den Teilnehmenden aufbauen können. Das Ergebnis war, dass sie sich wohl und sicher gefühlt haben und es zu einem intensiven Austausch gekommen ist.

Wenn wir möchten, sind wir zudem auch herzlich dazu eingeladen, Gottesdienste zu gestalten. Dies bereitet Louisa große Freude, da sie merkt, dass sie Menschen damit erreicht, im Herzen berührt oder zum Nachdenken bringen kann. Es ist für sie möglich, soziale, ökologische und gesellschaftliche Probleme, die ihrer Meinung nach zu wenig gesehen oder sogar stigmatisiert werden, sichtbar zu machen. Damit verbunden ist auch ein Highlight von ihr: Nachdem sie einen Gottesdienst über das Thema „Warum Christen umweltbewusste Menschen sein sollten“ gestaltet hat, ist eine Frau mittleren Alters zu ihr gekommen und hat sie umarmt und sagte, sie sei so dankbar ,beim Gottesdienst dabei gewesen zu sein, sie fand Louisa wirklich inspirierend. Das hat sie sehr gefreut und ein wenig stolz gemacht.

Seitdem kann sie sich vorstellen, Pfarrerin zu werden. Zuvor wollte sie Psychologie studieren – nun wird sie sich zwischen den beiden Möglichkeiten entscheiden.

Louisa und ich werden uns weiter beide gesellschaftlich und politisch engagieren. Insgesamt konnten wir im ersten halben Jahr im Friedensdienst mit EIRENE viel Neues ausprobieren, viel lernen und innerlich wachsen.

von Jolina Toillié und Louisa Fleiner, Freiwillige bei Corrymeela in Ballycastle, Nordirland