Opfer von Konflikten: Die Realität staatenloser Menschen

Staatenlosigkeit tritt häufig in Regionen auf, die von Krieg und Gewalt betroffen sind. Konflikte führen nicht nur zu einer massiven Fluchtbewegung, sondern auch zu einem Zerfall staatlicher Strukturen.
In Ländern wie Syrien, Libyen oder dem ehemaligen Jugoslawien hat die Zerschlagung der staatlichen Ordnung dazu geführt, dass Millionen von Menschen ihre Staatsangehörigkeit verloren. Oft sind ethnische, religiöse oder politische Gruppen von Verfolgung betroffen, was zu einer zusätzlichen Marginalisierung und dem Verlust von Rechten führt. Noch heute gibt es Menschen, die nach dem Staatszerfall der Sowjetunion keine neue Staatsangehörigkeit bekommen konnten. So haben auch Partnerorganisationen von EIRENE in der Vergangenheit Erfahrungen gesammelt, die zeigen, wie politische Repression zur Staatenlosigkeit führen kann.
Ein weiteres Beispiel ist der Fall der Rohingya in Myanmar, die aufgrund von Diskriminierung und Gewalt nicht nur aus ihrem Heimatland fliehen müssen, sondern auch keine rechtliche Anerkennung als Staatsbürge*in erhalten. Auch Palästinenser_innen sind von Staatenlosigkeit betroffen, weil Palästina bisher nicht als Staat anerkannt ist und sie in der Regel auch keine andere Staatsangehörigkeit erhalten können.
In vielen Fällen werden Staatenlose gerade aufgrund ihrer Staatenlosigkeit Opfer von Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen. Schätzungen zufolge gibt es derzeit weltweit etwa zehn Millionen Staatenlose. In Zukunft kann der Klimawandel zu Staatenlosigkeit führen, wenn ganze Regionen in Trockenheit unbewohnbar werden oder Inselstaaten im Meer versinken. Ein globales politisches Konzept, wie mit den betroffenen Menschen umzugehen ist, existiert bisher nicht.
Die Folgen der Staatenlosigkeit sind gravierend. Staatenlose Menschen haben oft keinen Zugang zu grundlegenden Rechten und Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheit und Arbeit. Sie können nicht legal reisen oder ihr Leben in einem stabilen Umfeld aufbauen. Staatenlose Migrant*innen sind oft mit einer Vielzahl von rechtlichen und sozialen Hürden konfrontiert. Der Zugang zu Asylverfahren kann eingeschränkt sein, und es besteht ein höheres Risiko, dass sie in einer prekären Situation verbleiben.
Dies kann zu einem Teufelskreis aus Armut, Diskriminierung und Marginalisierung führen. In vielen Fällen sind Staatenlose auch anfällig für Ausbeutung und Menschenhandel, da sie in einer rechtlichen Grauzone leben. In besonders langanhaltenden Fällen von Staatenlosigkeit wird diese sogar an Kinder weitervererbt.
Einer der größten Aspekte ist die rechtliche Anerkennung und der Zugang zu Asylverfahren. Staatenlose Menschen benötigen spezifische Schutzmaßnahmen, die oft nicht im Standardverfahren berücksichtigt werden. Die EU hat zwar Richtlinien zur Unterstützung von Staatenlosen verabschiedet, doch deren Umsetzung variiert von Land zu Land. In Deutschland gibt es Programme, die darauf abzielen, Staatenlosen einen rechtlichen Status zu verleihen, jedoch ist der Prozess oft langwierig und bürokratisch. Was vor allem fehlt, ist ein einheitliches Feststellungsverfahren in Deutschland für Staatenlose. Denis Neselovskyi von der Organisation Statefree.World stellt dazu fest:
„Bisher haben weltweit 28 Staaten ein Feststellungsverfahren für Staatenlose eingeführt, 13 davon in Europa. Zwar hat Deutschland das internationale Übereinkommen über die Rechtsstellung von Staatenlosen aus dem Jahre 1954 unterzeichnet und ratifiziert, doch 70 Jahre später gibt es immer noch kein Feststellungsverfahren darüber in Deutschland. Dieser Missstand muss dringend beendet werden.“
Um diese Barrieren abzubauen, ist es entscheidend, integrative Maßnahmen zu ergreifen, die das Bewusstsein für die Situation von Staatenlosen schärfen und eine inklusive Gesellschaft fördern.
Die Staatenlosigkeit wird ein anhaltendes Problem bleiben, solange Kriege und staatliche Instabilität existieren. Deutschland, als ein Land, das eine aktive Rolle in der internationalen Politik spielt, hat die Verantwortung, sich für die Rechte von Staatenlosen einzusetzen und Lösungen zu finden. Dies kann durch diplomatische Initiativen, Unterstützung für Friedensprozesse und durch die Schaffung sicherer Fluchtwege geschehen.
Vor allem aber muss Deutschland die rechtlichen Rahmenbedingungen für Staatenlose im eigenen Land verbessern. Dies könnte durch eine Reform des Asyl- und Staatsangehörigkeitsrechts geschehen, die speziell auf die Bedürfnisse von Staatenlosen eingeht, sowie durch die Schaffung von Programmen, die Integration und Teilhabe fördern.
Staatenlosigkeit ist eine komplexe und vielschichtige Herausforderung, die sowohl individuelle Schicksale als auch internationale Beziehungen betrifft. Für Deutschland ist es wichtig, die eigene Geschichte und Verantwortung in diesem Kontext zu reflektieren. Der Umgang mit Staatenlosen sollte nicht nur als humanitäre Pflicht, sondern auch als Chance zur Bereicherung der Gesellschaft verstanden werden. Durch ein engagiertes Handeln kann Deutschland dazu beitragen, die Lebensbedingungen von Staatenlosen zu verbessern und ein Zeichen für Solidarität und Menschlichkeit zu setzen. Dazu meint Christiana Bukalo von Statefree.World: Bei vielen Menschen, auch in den amtlichen Behörden, herrscht die Meinung vor, dass es Staatenlosigkeit eigentlich nicht gibt. Doch derzeit leben 29.000 anerkannte Staatenlose in Deutschland, weitere 97.000 Menschen leben hier mit ungeklärter Staatsangehörigkeit. Es wird höchste Zeit, diese Rechtsunsicherheit zu beenden.“
von Ali Al-Nasani