Starke Nachbar*innen als Brückenbauer*innen

Wie viele Kommunen derzeit in Deutschland steht auch Neuwied vor enormen Herausforderungen bei der Unterbringung von Geflüchteten. Das EIRENE-Projekt “Starke Nachbar_innen” unterstützt die Stadt Neuwied und fungiert als Verbindungsglied zwischen den neu angekommenen Geflüchteten und der Kirchengemeinde im Stadtteil Niederbieber. Die evangelische Gemeinde ist ein beeindruckendes Beispiel für Engagement zugunsten von Menschen in Not. Was im Ukrainekrieg begann, setzt sich jetzt auch dank der Vermittlung der „Starken Nachbar_innen“ für Menschen aus arabischen Ländern fort. Dies schafft Verständnis und fördert ein friedliches Zusammenleben.
Die Turnhalle im Neuwieder Stadtteil Niederbieber, üblicherweise für schulische und Vereinsaktivitäten genutzt, wurde Anfang 2022 als Notunterkunft für bis zu 100 Geflüchtete umfunktioniert. Gemeindepfarrer Martin Haßler betont die Herausforderungen aufgrund des begrenzten Raums und hebt die organisatorischen Schwierigkeiten vor Ort hervor. Die Zusammensetzung der Bewohner_innen hat sich seit Beginn der Nutzung als Gemeinschaftsunterkunft verändert, von anfänglich aus der Ukraine stammenden Familien mit Kindern zu größtenteils alleinreisenden Männern aus arabischen Ländern, die nach Zuflucht vor Gewalt und Krieg suchen. Bilal Almasri, pädagogischer Mitarbeiter im Projekt „Starke Nachbar_innen“, erzählt: "Als wir die neuen Geflüchteten in der Turnhalle getroffen haben, haben wir zunächst viele Fragen bekommen, warum sie hier zur evangelischen Kirchengemeinde kommen sollten. Wir haben verdeutlicht, dass man sehr davon profitiert, mit Deutschen in Kontakt zu kommen."
Die Menschen in der Turnhalle leben oft monatelang dort; sie durchleben eine tiefgreifende Notsituation. Ein junger Mann aus Afghanistan beschrieb es kürzlich als Gefängnis, und diese Worte berühren mich sehr. – Martin Haßler
Seit 2017 setzt sich das Projekt "Starke Nachbar*innen" erfolgreich für das friedliche Zusammenleben von Menschen mit und ohne Fluchtbiografie in und um Neuwied ein. Als einfühlsame Zuhörer_innen und Vermittler_innen tragen sie dazu bei, den Anliegen der Menschen Gehör zu verschaffen. Die Stadt Neuwied hat die EIRENE-Mitarbeiter_innen direkt angesprochen, um als Mediator_innen zwischen den verschiedenen Gruppen in der Turnhalle zu agieren und mit ihrem Erfahrungsschatz zu unterstützen.
Ramadan besser verstehen
Iyad Asfour, Leiter des Projekts, betont: „Wir wollen zu Ramadan auch eine Infoveranstaltung für die Kirchengemeinde machen. Da soll es darum gehen, was man als Nichtmuslim während dieser Zeit von außen beobachtet, wenn man Menschen fasten sieht, und was eigentlich alles hinter dem Fasten steht. Erstmal sieht man nur Durst und Hunger, das ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Dahinter steht viel mehr." Die Bedeutung der Empathie bringt Bilal Almasri zum Ausdruck: "In der Turnhalle haben alle Menschen ihre eigene Geschichte, die gehört und gesehen werden sollte. Es berührt mich, aus meiner eigenen Fluchtgeschichte heraus anderen zu helfen, damit sie hier ihre eigene Ankunftsgeschichte schreiben können."
Mitfühlendes Engagement trotz bürokratischer Barrieren
Die "Starken Nachbar_innen" und die ehrenamtlichen Helfer_innen bieten unkomplizierte Unterstützung an, doch sie stoßen häufig auf bürokratische Barrieren. Beispielsweise darf der nahegelegene Bolzplatz der Schule und des Sportvereins zu keiner Zeit von den Bewohner_innen der Turnhalle genutzt werden. Die Ehrenamtlichen haben in den letzten zwei Jahren viel über die komplexen bürokratischen Strukturen gelernt, die die effektive Hilfe für die Menschen erschweren. Trotz dieser Hindernisse setzen die Engagierten ihre Bemühungen fort, um den Geflüchteten in der Turnhalle bestmöglich beizustehen. Doch die ehrenamtlichen Helfer_innen setzen mit Hingabe vielfältige Angebote ein, um dieses beklemmende Gefühl zu lindern und den Menschen in dieser schwierigen Lage Trost und Unterstützung zu bieten.
Das Willkommenscafé
Das Willkommenscafé im Gemeindehaus neben der Kirche findet jeden Mittwoch um 15 Uhr statt. Bei Kaffee und Kuchen tauschen sich die Menschen aus, lernen Deutsch und knüpfen Netzwerke. Diese wöchentliche Zusammenkunft schafft nicht nur einen Raum des Austauschs, sondern ist auch eine Möglichkeit, den Glauben aktiv zu leben. Andreas Rudow, Presbyter und ehrenamtlicher Helfer, erzählt: „Rund um die Ehrenamtlichen ist eine tolle Gemeinschaft entstanden. Bis heute kommen Menschen aus der Ukraine in unser Willkommenscafé, obwohl sie schon lange nicht mehr in der Turnhalle untergebracht sind. Unser ganzes Engagement passt gut ins Bild von Neuwied mit seinen vielen verschiedenen Religionsgemeinschaften." Die Geschichte der "Starken Nachbar_innen" und ihrer Mitstreiter_innen ist ein lebendiges Beispiel dafür, wie Gemeinschaftsengagement und Mitmenschlichkeit einen Weg zu positivem Miteinander ebnen können.
von Damaris Becker