Das harte Leben obdachloser Menschen in Portland

Eske Hicken war USA-Freiwillige mit EIRENE. 2017 ging sie zur Einsatzstelle Sisters of the Road in Portland, Oregon, um dort mit und für obdachlose Menschen zu arbeiten. Jetzt hat sie den Roman „Homeless“ über ihre Erfahrungen und Begegnungen in ihrem Freiwilligendienst geschrieben. Im EIRENE-Interview erklärt sie die Beweggründe hinter dem Buch und was sie mit ihm erreichen möchte.

Eske, Anfang September ist dein Debütroman „Homeless“ beim Verlag Edition W erschienen. Das Buch ist inspiriert durch deine Erlebnisse als EIRENE-Freiwillige in den USA. Warum hast Du Dich damals 2017/2018 für deinen Freiwilligendienst mit EIRENE entschieden?

Ich war 45 Jahre alt, nicht unglücklich, hatte aber ein unbestimmtes Gefühl, dass noch etwas fehlt. Als sich meine Lebensumstände änderten, habe ich dann beschlossen, für ein Jahr in die USA zu gehen, ein alter Traum von mir, den ich über die Jahre vergessen hatte. Ich wollte dort etwas Sinnvolles tun und durch Googeln bin ich schnell auf EIRENE gestoßen. Auch, weil EIRENE eine der wenigen Organisationen ist, die ein Programm für Menschen anbieten, die keine zwanzig mehr sind.

Was macht die Stadt Portland aus?

Portland ist eine Hipsterstadt und sehr linksalternativ geprägt. Viele Menschen fahren Fahrrad und sind sozial engagiert. Oft ist damit natürlich auch die Haltung verbunden, für ein besseres Amerika zu stehen. Gleichzeitig leben Tausende von obdachlosen Menschen in Zeltcamps auf den Straßen. Und die haben oft nicht das Gefühl, in einer besonders sozialen Stadt zu leben, sie erleben immer wieder Anfeindungen. Den Widerspruch zwischen diesen beiden Welten fand ich besonders interessant. Ich habe mich gefragt, was die eigenen Ideale eigentlich wert sind, wenn man sie unter Beweis stellen muss, wenn es so viel Elend direkt vor der Haustür gibt.

Und was machte deine Einsatzstelle Sisters of the Road zu einem besonderen Ort?

Sisters of the Road ist ein Restaurant für obdachlose Menschen, gedacht als Ort, an dem Beziehungen entstehen können. Die Menschen auf der Straße haben dort mitgearbeitet, wir waren also alle Kolleg_innen, das sorgt ganz praktisch für Augenhöhe. Für viele war es ein Ort, an dem niemand auf sie herabschaute. Das Elend auf den Straßen ist aber überwältigend groß. Und ich glaube, wir alle hatten ab und zu den Eindruck, dass wir jeden Tag nur die Scherben aufkehren.

Als Freiwillige bei Sisters of the Road wird man mit schwierigen Schicksalen konfrontiert. Welche Begegnungen mit obdachlosen Menschen sind dir heute noch präsent?

Fast jeden Tag kam eine Frau ins Restaurant, die kaum ansprechbar war, weil sie Drogen nahm und gleichzeitig eine psychische Krankheit hatte. Es war bekannt, dass sie ständig Gewalt erdulden musste, gleichzeitig weigerte sie sich, in eine Klinik zu gehen; sehr viele Leute hatten schon erfolglos versucht, ihr zu helfen. An einem Tag kam sie mit einem blau geschlagenen Gesicht zu uns, ihre Stirn war genäht, offensichtlich hatte man sie direkt nach der Behandlung wieder auf die Straße gesetzt.

Für deinen Roman hast du dich selbst auf die Straße begeben und mehrere Nächte dort verbracht. Gab es brenzlige Situationen, hattest du Angst?

Ich habe darauf geachtet, mich nicht in gefährliche Situationen zu begeben, ein Privileg, das die Menschen auf der Straße natürlich nicht haben. Eine der obdachlosen Kolleginnen hat mir geholfen und mich begleitet, ohne sie hätte ich mich das nicht getraut. Eine Frau hat mich zum Beispiel gewarnt, allein zur Toilette zu gehen, weil es Männer gibt, die gezielt obdachlose Frauen verfolgen, um sie zu vergewaltigen. Mir hat das Angst gemacht, für die Frauen auf der Straße gehört es zum Alltag.

Wie ist dir EIRENE zur Seite gestanden?

Ich konnte unseren USA-Freiwilligenbetreuer Ralf Ziegler jederzeit anrufen, er hat darauf geachtet, dass wir passende Einsatzstellen finden, dass alles in Ordnung ist, und vor allem hatte er immer ein offenes Ohr.

Homeless“ ist ein politisches Buch, da es sich mit sozialen Themen befasst. Was möchtest du bei den Leser_innen bewirken?

Ich bin vielen Menschen begegnet, die ihr Leben auf der Straße bewundernswert gemeistert haben, die in gut organisierten Camps lebten und sich gegenseitig unterstützten. In Filmen werden obdachlose Menschen oft auf eine entmenschlichende Weise gezeigt: dreckige, dunkle Gestalten, brennende Mülltonnen. Eine obdachlose Frau hat mal zu mir gesagt: „Wir werden nicht als Menschen gesehen.“ Ich habe versucht, die Geschichte so spannend und realistisch wie möglich zu schreiben, und natürlich wünsche ich mir, dass sich Leser_innen für das The-ma weiter interessieren.

Das Interview führte Stefan Heiß.

Homeless ist bei Edition W erschienen und ab jetzt im Buchhandel erhältlich.