Klimakrise – Gerechtigkeitskonflikt mit kolonialem Ursprung

EIRENE-Freiwillige demonstrieren während ihres Rückkehrseminars bei „Fridays for Future“ in Koblenz am 24. September 2021 .

Was ist das Wichtigste beim Klimaschutz? Gerechtigkeit! Das findet Jonas Laur, ehemaliger EIRENE-Freiwilliger und heute ehrenamtlich bei EIRENE engagiert. Für ihn ist das entscheidende Bild nicht der Eisbär, dem die Scholle wegschmilzt, sondern die Tatsache, dass Menschen in den ärmsten Ländern der Welt am stärksten unter den Folgen der Klimakrise leiden, wenngleich sie aktuell und vor allem historisch am wenigsten für Umweltzerstörung verantwortlich sind.

Die Klimakrise ist womöglich der größte Gerechtigkeitskonflikt der Gegenwart. Die Prognosen für die Zukunft sehen noch dunkler aus: Greenpeace hat errechnet, dass bis ins Jahr 2040 rund 200 Millionen Menschen weltweit aufgrund von Umweltveränderungen zur Flucht gezwungen werden. Durch mehr Extremwetterereignisse und Luftverschmutzung steigen Gesundheitsschäden, dabei sterben arme Menschen mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit. Die fortschreitende Klimakrise wird zu mehr Hunger auf der Welt führen,  Verteilungskonflikte um Wasser, Land und andere Ressourcen werden drastischer als bisher zunehmen.

Rassismuskritische Perspektiven auf die Klimakrise

Die Politikwissenschaftlerin Françoise Vergès beschreibt das Erdzeitalter der Klimakrise bewusst nicht als Anthropozän, sondern bevorzugt den Begriff des rassistischen Kapitalozäns. Der Begriff verdeutlicht, dass europäische und weiße Erzählungen über die Verantwortung und Ursachen für die Klimakrise blind für Rassismus, die Rolle des Wirtschaftsystems und historische Tatsachen sind. Aus der Perspektive Schwarzer und indigener Klimagerechtigkeitsaktivist_ innen, wie der Wissenschaftlerin Imeh Ituen, beginnt die Klimakrise vor über 500 Jahren mit dem europäischen Kolonialismus. Sie nennt diesen Zeitpunkt nicht, weil damals die Konsequenzen des Treibhausgaseffektes schon am  Höhepunkt waren, das keineswegs, sondern weil es der Beginn der Umwelt- und Ressourcenausbeutung auf Kosten der ehemaligen Kolonien und zu Gunsten der westlichen Welt war.

EIRENE auf dem Weg zur klimagerechten Organisation - KlimAG

Die Kolonisatoren unterdrückten Völker und Kulturen, die in Harmonie mit der Natur lebten, und zwängten sie in das westliche Verständnis vom Mensch als Krone der Schöpfung. Die  damit einhergehende Dualität von „weiß, zivilisiert, entwickelt, Kultur“ vs. „Schwarz, wild, unterentwickelt, Natur“ dominiert seit Jahrhunderten das Denken und Handeln in der Moderne. Die Natur wird in diesem rassistischen Verständnis, ähnlich wie die Schwarzen und indigenen Menschen, als Ressource betrachtet, die für die Entwicklung effizient genutztwerden muss.

Wenn es Jahreszahlen für den Beginn der Klimakrise bräuchte, wären das 1454, als erstmals afrikanische Menschen auf Plantagen auf Madeira versklavt wurden, und 1492, als europäische Besatzer_innen den Seeweg nach Amerika fanden. Die Industrialisierung und der aus ihr sich entwickelnde Massenkonsum im Globalen Norden und als dessen Konsequenz die Klimakrise wäre niemals ohne die koloniale Ausbeutung von Schwarzen und indigenen Menschen sowie der Natur möglich gewesen.

Diese kleine Geschichtsstunde ist wichtig, da in der heutigen Debatte die Klimakrise meistens als ein Ereignis ahistorischen Ursprungs dargestellt wird. Die hier aufgemachte Gegenerzählung wird maßgeblich von indigenen und Schwarzen Wissenschaftler_innen in die Debatte getragen und hat die Funktion die im Globalen Norden häufig ausgeblendeten  Verbindungen zwischen Kolonialgeschichte und Entstehung der Klimakrise zu beleuchten. Für uns als ehemalige Kolonialmacht und einer der größten ökonomischen Profiteure von Rohstoffen aus dem Globalen Süden ist es eine anzuerkennende Wahrheit, dessen Aufarbeitungsprozess viel Reflexion und letztlich zurücktreten von Privilegien verlangt. Für Schwarze und indigene Menschen ist die Gegenerzählung ein Empowerment. Sie bricht mit der Erzählung die Klimakrise sei ein Produkt der fossilen Wirtschaft und fokussiert die Fortführung kolonialer Ausbeutungsverhältnisse bis in die Gegenwart.

Klimaschutz auf Kosten des Globalen Südens

Die aktuelle Klimaschutzdebatte in Deutschland lässt mich mit gemischten Gefühlen zurück. Der von der jungen Generation als Schulstreik gestarteten „Fridays For Future“-Bewegung ist es gelungen die Generation der Eltern und Großeltern mit der grundlegenden Frage zu konfrontieren: Was wird aus unserer Zukunft und der unserer Nachkommen, wenn der Klimaschutz weiterhin so zaghaft angepackt wird? Die sich daraus ergebende öffentliche Debatte ist mir zu zukunfts- und CO2- zentriert. Sie blendet historische Klimaschuld aus und verkennt, dass unsere Produktions- und Konsumweise der Natur sowie menschlichen Lebens auch in anderer Form schadet.

Umweltausbeutung für den grünen Zweck

Eine von Technologien getragene grüne Transformation der Wirtschaft ist massiv von den Ressourcen und Landflächen im Globalen Süden abhängig. Ohne Solarparks in Marokko, Wasserstoff aus dem Kongo, Bauxit aus Guinea und Lithium aus Bolivien wird dieser Wandel zur europäischen Klimaneutralität nicht zu machen sein. Das bedeutet die Zunahme neokolonialer Umweltkonflikte für den Ausbau von klimafreundlichen Technologien.

Aus der Perspektive der lokalen Bevölkerung ist es nahezu egal, ob Bauxit für den Bau von Verbrenner- Autos oder Elektroautos abgebaut wird, oder ob ihre landwirtschaftlichen  lächen verdrängt und ihr Regenwald gerodet wird, weil Soja auf Plantagen für Tierfutter oder Bio-Diesel angebaut werden soll. In beiden Szenarien verlieren sie den Zugang zu ihrem Territorium, leiden unter gesundheitlichen Folgeschäden und werden Opfer neokolonialer Ausbeutung. Für die CO2-Bilanz macht es jedoch einen riesengroßen Unterschied, welche Nutzungsform für die Ressourcen gewählt wird.

Jenes Phänomen und Agieren des privilegierten Teil, der weißen Mehrheitsgesellschaft in Deutschland, erinnert mich an die Umweltgerechtigkeitsbewegung in den USA der 1980er Jahre. Sie ging aus einem Bruch mit der liberalen Umweltbewegung hervor. Damals protestierte eine vor allem weiße, bürgerliche Umweltbewegung gegen den Erbau von gesundheitsschädlichen Industrieanlagen wie Chemiefabriken in der eigenen Nachbarschaft. Der Erfolg ihres Widerstandes war, dass die schmutzige Industrie aus ihren Vierteln  erschwand und in unmittelbarer Nähe zu Armenvierteln ausgebaut wurde.

Protest, der „not in my backyard“ fordert, reicht nicht, für Gerechtigkeit muss das Problem an der Wurzel angepackt werden, das bedeutet „not in anybody`s backyard!“. Die Haltung Umweltzerstörung nicht vor der eigenen Haustür zu dulden, aber sie marginalisierten Schwarzen, indigenen und armen Menschen zuzumuten sowie gleichzeitig davon seine Privilegien zu nähren, wird als Umweltrassismus bezeichnet. Übertragen auf unseren Kontext: Wenn wir im rheinischen Kohlerevier für den Erhalt des Hambacher Waldes und Dörfern wie Lützerath und Keyenberg rotestieren, müssen wir auch für das Bleiben von Dörfern im Globalen Süden eintreten, die in Umweltkonflikten bedroht werden.

Unterstützen Sie Dorfgemeinschaften im Sahel im Kampf gegen die Klimakrise

Die Klimagerechtigkeit kommt bei EIRENE an

In Anbetracht der fortschreitenden Klimakrise haben vor allem kritische Nichtregierungsorganisationen und Soziale Bewegungen aus dem Globalen Süden erkannt, dass ein von der Wirtschaft und Technologien getragener Klimaschutz ungerecht ist. Deshalb gründeten sie 2007 am Rande des UN-Klimagipfels auf Bali das Climate Justice Network (CJN). Die  damaligen Gründungsmotive bilden noch heute die zentralen Anliegen der globalen Klimagerechtigkeitsbewegung ab. Diese umfassen die Reduktion des weltweiten Konsums und Rohstoffverbrauchs, die Anerkennung der Klimakrise als Fluchtursache, umfangreiche Finanztransfers von Nord nach Süd auf der Grundlage historischer Verantwortung und  ökologischer Schuld. Diese Anpassungs- und Abmilderungskosten sollen durch Umschichtung von Militärbudgets, innovative Steuern und Schuldenerlass finanziert werden. Zentrale Forderungen sind auch der Umbau der Energie- und Ernährungssysteme, dazu gehören der Verzicht auf fossile Brennstoffe und die Investition in angemessene Energieeffizienz durch sichere, saubere und erneuerbare Energien. Ressourcenschutz auf Grundlage der indigenen Landrechte und die Souveränität der indigenen Völker über Energie, Wälder, Land  und Wasser. Statt der industriellen Landwirtschaft wollen wir eine nachhaltige kleinbäuerliche Landwirtschaft und Ernährungssouveränität. Die Klimagerechtigkeitsbewegung kritisiert nicht nur die aktuelle Politik, sondern erschafft gleichzeitig klimagerechte utopische Lösungen im Hier und Jetzt. EIRENE unterstützt beispielsweise als Depot für Gemüseabholung die Solidarische Landwirtschaft Stopperich. Ein Lösungsansatz für klimagerechte Landwirtschaft, so gibt es auf unseren Seminaren ökologisches und regionales Gemüse bei dem auch die Bäuer_innen solidarisch entlohnt werden.

Ich persönlich beschäftige mich seit meinem EIRENE-Friedensdienst in Bolivien mit Klimagerechtigkeit. Aus meiner Perspektive ist es dabei ihre wichtigste Aufgabe klimatechnologische Scheinlösungen und unsozialen Klimaschutz auf Kosten armer Menschen und des Globalen Südens zu verhindern. Dass wir unter Zeitdruck aufgrund von ökologischen Kipppunkten stehen, ist Realität. Heute ist die politische Sensibilisierung und der Veränderungswille so hoch wie noch nie und diesen werden wir nutzen! Das Thema Klimagerechtigkeit ist bei EIRENE angekommen. Angeknüpft an unseren Rassismus-kritischen Veränderungsprozess beschäftigen wir uns gemeinsam damit wie wir zu einer klimagerechteren Organisation wachsen können. Es gab bisher Workshops und Arbeitsgruppentreffen, wo Mitarbeitende aus der Geschäftsstelle und Ehrenamtliche gemeinsam wichtige Fragen diskutierten: Wie können wir ein solidarisch-internationales Miteinander pflegen, Friedensdienst leisten und dabei möglichst geringe Kosten für die Umwelt  verursachen? Wie können wir von der Klimakrise betroffenen Menschen in Umweltkonflikten solidarisch zur Seite stehen? Wir setzen unser Engagement fort, sind im Dialog mit unseren Partnerorganisationen und laden auch Sie und Dich herzlich zum Mitmachen auf diesem Weg ein.

von Jonas Laur, ehemaliger Freiwilliger bei CCC Chasqui in Bolivien und aktiv in der KlimAG bei EIRENE