BLM und FFF – Wie sieht der Friedensdienst von morgen aus?

Kathleen Roth zusammen mit Tahirou Sy auf der Terrasse der EIRENE-Geschäftsstelle in Neuwied.

#BlackLivesMatter und #FridaysforFuture haben den Protest gegen Rassismus und gegen die fortschreitende Klimakrise in den letzten Jahren salonfähig gemacht. Menschen bei EIRENE haben sich schon vor über 60 Jahren mit den Themen Rassismus und der Bewahrung unserer einen Welt auseinandergesetzt. Wie können also die aktuellen Proteste mit der EIRENE-Tradition in Verbindung gebracht werden?

Tahirou, du begleitest den rassismuskritischen Veränderungsprozess bei EIRENE. Warum beschäftigt sich EIRENE mit Rassismuskritik?

Tahirou Sy: Seit der Gründung setzt sich EIRENE gegen alle Formen von Diskriminierung ein. Magda und André Trocmé (Gründer_innen von EIRENE) haben zu Zeiten des Nationalsozialismus Tausenden Jüd_innen Fluchthilfe in die Schweiz geleistet. Peter Dyck, auch Mitgründer von  EIRENE, hat gesagt: „Bei EIRENE gibt es keinen Platz für Nationalismus, Rassismus und religiöse Grenzen.“ Also gehört das Thema zu den Werten der Organisation und steht in unserem Grundsatzpapier.

Seit November 2016 ist durch einen Mainstreaming-Prozess für EIRENE klar, dass Rassismus nicht nur die Menschheit in Gruppen einteilt und Privilegien für die einen sowie Unterdrückung für die anderen erschafft, sondern das Rassismus auch strukturell bei Institutionen wie EIRENE zu finden ist. Um uns diesen Strukturen zu stellen und sie zu verändern, haben wir 2017 einen konstruktiven rassismuskritischen Veränderungsprozesses (RKVP) gestartet, den ich aus tiefer Überzeugung unterstütze.

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Was hat sich durch den Prozess verändert?

Tahirou Sy: Es ist schwierig, einen Prozess, bei dem es größtenteils um die Veränderung des menschlichen Verhaltens geht, kurzfristig zu messen, aber für mich ist offensichtlich: Wir als Organisation sind im Wandel. Wir haben unsere Personalauswahlpolitik geändert, deshalb gibt es heute eine bemerkenswerte Vielfalt unter den Mitarbeitenden: rund ein Drittel sind nicht-deutscher Herkunft. Für Kolleg_innen, die sich diskriminiert fühlen oder rassistische Übergriffe beobachten, werden nun geschützte Räume zur Verfügung gestellt.

Mit unseren Partnerorganisationen ist uns ein gleichberechtigter Dialog sehr wichtig. Sie wirken nun direkt bei der Auswahl der Fachkräfte mit, was vor dem Prozess leider nicht der Fall war. Auch im Freiwilligenprogramm werden Privilegien neu verteilt: Wir streben an, dass immer mehr Freiwillige aus den Ländern unserer Partnerorganisationen hier in Deutschland ihren Friedensdienst leisten können. Das sind einige Beispiele, die mir jetzt spontan einfallen.

Rassismuskritisch leben ist nicht immer leicht, dass weiß ich auch aus eigener Erfahrung. Deshalb hat EIRENE neue Verantwortungsbereiche geschaffen. Es gibt jetzt eine externe Ombudsperson, die Menschen in Fällen von Diskriminierung unterstützt. Ihre Erfahrungen teilt sie mit EIRENE und wir alle lernen ein positives Miteinander.

Die Wüste aufhalten in Niger - Unterstützen Sie Gemeinden bei ihrem Kampf mit den Folgen der Klimakrise

Kathleen, wir haben vor über einem Jahr angefangen uns in der „KlimAG“ mit dem Thema Klimagerechtigkeit zu beschäftigen. Was ist die Verbindung zu Rassismuskritik?

Kathleen Roth: Die Ungleichheit unter Verursachenden der Klimakrise und Betroffenen ist extremgroß. Die Menschen im Globalen Norden sind für den größten Teil der Treibhausgase verantwortlich und somit Hauptverursacher der Klimakrise, während Menschen im Globalen Süden am stärksten durch ihre Folgen bedroht werden. Wenn wir heutzutage unser Smartphone, Auto oder Tablet benutzten, dann sollten wir uns bewusst sein, dass diese Privilegien auch ihren Preis hatten und haben. Ohne Kolonialismus und Ausbeutung wäre Europa die eigene Industrialisierung nicht möglich und damit dieser Reichtum verwehrt geblieben. Historisch gesehen sind die 19 Prozent der Weltbevölkerung im Globalen Norden für 92 Prozent der weltweit produzierten CO2 Emissionen verantwortlich. Allein im Jahr 2013 verursachte Deutschland als einzelnes Land so viel CO2 wie alle 49 afrikanischen Länder südlich der Sahara zusammen.

Die Ungerechtigkeit wird nun fortgesetzt, da Menschen im Globalen Süden stärker von der Klimakrise betroffen sind (u.a. durch Extremwetterereignisse und Naturkatastrophen) und sich weniger dagegen wehren können, denn ihr Zugang zu Ressourcen und Mitbestimmung ist meist erschwert. In meinen Augen muss der Kampf für Klimagerechtigkeit auch einer gegen Rassismus sein.

Welche Relevanz hat das für die Friedensarbeit von EIRENE?

Kathleen Roth: Bei der Friedensarbeit in ökologischen Verteilungskonflikten, zum Beispiel Konflikte um Wasserverteilung oder Zugang zu Nahrung, könnte EIRENE bei diesen Menschen und ihren lokalen Gemeinschaften ansetzen, um sie unabhängiger von Großkonzernen zu machen und sie zu stärken in ihrer politischen und ökonomischen Selbstverwaltung.

In meiner Wahrnehmung bekommen die Geschichten des Widerstands von Menschen aus dem Globalen Süden in den deutschen Medien wenig Raum. EIRENE könnte beitragen, die Geschichten ihres Widerstandes in die politische Öffentlichkeit in Deutschland zu tragen. Darüber hinaus können wir als EIRENE weiter versuchen, unseren eigenen Umweltverbrauch zu reduzieren, Menschen durch Bildungsarbeit für Ungerechtigkeiten und klimaschädliche Lebensweisen sensibilisieren und uns politisch für Klimagerechtigkeit einsetzen.

Tahirou, was kam Dir in den Kopf, als vorgeschlagen wurde den RKVP mit Klimagerechtigkeit zu verknüpfen?

Tahirou Sy: Wie Kathleen schon sagt, ist die Klimakrise eng mit Fragen von Diskriminierung, Privilegien und Machtungleichheit verknüpft, dem stimme ich zu. Der Norden zerstört die Natur und bereichert sich daran, während der Süden die Auswirkungen dieser Ausbeutung zu spüren bekommt.

Die Klimakrise führt in einigen Regionen zu Klimakatastrophen, die eine Kette von Auswirkungen haben. Sie zwingt Menschen auch zur Migration, und dies geht direkt mit Diskriminierung einher. Zum Beispiel werden mehr Menschen ländliche Regionen verlassen müssen und in die Städte drängen, weil der Ackerbau aufgrund von Trockenheit oder Wüstenausbreitung nicht mehr möglich ist. In anderen Fällen kommt es zu Landraub an ihren Ländereien durch internationale Großkonzerne, die ohne Rücksichtnahme auf die lokale Bevölkerung ihre Aktivitäten in Bergbau oder Landwirtschaft ausweiten. Armut und soziale Ungleichheit bei sowieso schon benachteiligten Bevölkerungsgruppen wird immer größer. EIRENE arbeitet mit Partnerorganisationen, die solidarisch mit Menschenrechtsverteidiger_innen indigene Gemeinschaften bei Konflikten dieser Art unterstützt.

Für mich gehören Anstrengungen für Rassismuskritik und Klimagerechtigkeit zum selben Weg zu mehr Diskriminierungssensibilität. Wir brauchen einen Prozess, der beide Aspekte vereint.

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Was sagen EIRENE Mitglieder und Partner dazu?

Kathleen Roth: Die Bedrohung des Friedens durch die Klimakrise war schon länger Teil der Diskussionen bei EIRENE, aber seit dem letzten Jahr wurde mit mehr Dringlichkeit von Freiwilligen, Mitgliedern und dem Vorstand nachgefragt. Das hat sicher auch etwas mit der öffentlichen Diskussion rund um Fridays for Future und dem Einfluss der Klimagerechtigkeitsbewegung zu tun. Gleichzeitig beginnen wir einen Dialog mit unseren Partnern in Afrika und Lateinamerika, um sie zu beteiligen und gemeinsam über Kooperationen nachzudenken.

EIRENE ist eine internationale Organisation. Was wird aus den klimaschädlichen Flügen, die bei unserer Arbeit entstehen?

Kathleen Roth: Wir reduzieren Flüge, wo wir können, allerdings lebt Friedensarbeit von echter Begegnung. Ein klassisches CO2-Kompensationsprinzip sehen wir bei EIRENE eher kritisch, da ein „sich freikaufen“ von Emissionen aus unserer Sicht nicht möglich ist. Wir möchten trotzdem gemessen an unserem Flugverhalten einen Klimasolidaritätsfonds einrichten, der von unseren Partnerorganisation im Globalen Süden selbstständig verwaltet und eingesetzt werden kann. Uns ist allerdings klar, dass das auf keinen Fall einen genügenden Ausgleich schafft und wir an jeder Stelle, mit unseren Partnerorganisationen für Klimagerechtigkeit in Form eines politischen und systemischen Wandels einstehen müssen.

Tahirou Sy: Wie bei jedem Veränderungsprozess ist der Anfang schwierig, da er eine etablierte Ordnung und erworbenen Komfort stört. Als EIRENE-Mitarbeiter, der für internationale Friedenskooperationen und den RKVP mitverantwortlich ist, bleiben die Flüge für mich ein großes Problem, denn sie sind für den physischen Kontakt zwischen mir und den Menschen im Friedensdienst in den Regionen notwendig. Diesen Widerspruch mit dem Fliegen werden wir zunächst aushalten müssen, das ist meine Einschätzung.

Wie geht es auf Weg zu einer diskriminierungssensiblen Organisation weiter? Was passiert beim Pfingsttreffen?

Kathleen Roth: Auf dem Pfingsttreffen (4.-6. Juni 2022) diskutiert der gesamte Verein über die Verknüpfung von Rassismus, Klimakrise und Friedensarbeit. Wir wollen Beschlüsse fassen, die unsere Programme, unser Personal und politische Haltungen in diese Richtung weiter voranbringen. Der Vorstand wird dem Verein vorschlagen den diskriminierungssensiblen Veränderungsprozess weiterzuführen, denn hinterfragend und lernend gehen wir voran in unserem Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit. Ich würde mich freuen, wenn möglichst viele Menschen zum Pfingsttreffen kommen, um sich gemeinsam mit uns am Prozess zu beteiligen.

Das Interview führte Jonas Laur