Mali: Was kommt nach dem Abzug?

Bild von Flickr-Account Bundeswehr Deutschland

Mit dem Ende der UN-Mission in Mali (MINUSMA) hat auch die Bundeswehr den Sahelstaat im Dezember 2023 verlassen. Wie fällt die Bilanz des mehrjährigen Einsatzes aus und wie kann es jetzt auf dem Weg zum Frieden für Mali weitergehen? Die EIRENE-Partnerorganisation ORFED hat mehrere Jahre in Gao, dem ehemaligen Stützpunkt der Bundeswehr, gearbeitet. Sie haben hautnah miterlebt, wie die Präsenz internationaler Truppen die Stadt verändert hat.

„Zunächst war die Anwesenheit von MINUSMA und der Bundeswehr in Gao für die normalen Bürger_innen wie ein Hoffnungsschimmer“, sagt Boncana Maiga, ein Journalist des lokalen Radiosenders Naata, der zusammen mit ORFED in Gao arbeitet. 2012 wurde die historische Stadt von militanten Gruppen gewaltsam erobert. Ein Jahr später gelang es französischen und malischen Truppen die Stadt wieder zurück zu erobern, trotzdem blieb die Sicherheitslage in der Region äußerst angespannt. MINUSMA richtete von 2014 bis 2017 humanitäre Flüge zwischen der Hauptstadt Bamako und Gao ein, da der Weg über die Straßen zu gefährlich war. Von diesen Flügen profitierte auch ORFED, denn Mitarbeitende durften mitfliegen. So konnten sie ihre wichtige zivile Friedensarbeit mit Frauen- und Jugendgruppen in dieser Zeit fortführen.

Internationale Missionen wie MINUSMA verändern auf einen Schlag das Leben aller Menschen vor Ort. Die Missionen sind wie große Tanker, in deren Kielwasser lokale Ökonomien zerstört werden und gleichzeitig vielseitige Beschäftigungsmöglichkeiten für die lokale Bevölkerung entstehen. Reinigungs- und Sicherheitsfirmen ziehen qualifiziertes Personal aus anderen Wirtschaftsbereichen ab, denn diese Dienstleistungen werden von dem gut zahlenden internationalen Personal in Anspruch genommen. Das galt für Kundus und Masar-e Sharif in Afghanistan genauso wie für Gao in Mali. Doch der wirtschaftliche Aufschwung hat auch seine Schattenseiten: Mieten explodieren und Grundnahrungsmittel werden teurer. „Rund um MINUSMA ist viel Prostitution entstanden“, erinnert sich die ehemalige EIRENE-Fachkraft Moctar Kamara, der bei ORFED seinen Friedensdienst leistete. „Die Prostitution in der Stadt wurde nicht direkt von den internationalen Soldat_innen in Anspruch genommen, aber von den lokalen Kräften, die durch die Mission angestellt waren. Die können sich ja viel freier bewegen als die Soldat_innen selbst.“ Nach dem Abzug von MINUSMA sind die Mieten und Preise in Gao hochgeblieben. Noch heute sind viele internationale Hilfsorganisationen vor Ort, das Leben ist für normale Malier_innen sehr prekär.

Zivile Konfliktbearbeitung auf kreativen Wegen: In Malis Hauptstadt Bamako helfen Marionetten soziale Konflikte anzusprechen, die die normalen Bürger_innen nicht so leicht thematisieren können

„Die Bürger_innen von Mali waren schnell ernüchtert, als sie merkten, dass die Anwesenheit von MINUSMA die Sicherheitslage im Land, vor allem im Norden, nicht nachhaltig verbessert hat“, sagt der Radiojournalist Boncana Maiga, und auch François Sangare von ORFED konstatiert, dass es MINUSMA nie geschafft hat, das Vertrauen der Malier_innen bei Sicherheitsfragen zu erlangen. „Irgendwann kursierten sogar Gerüchte über Kumpanei der MINUSMA mit bewaffneten Gruppen, um ihren Verbleib in Mali zu rechtfertigen“, fügt Sangare, der Direktor der malischen Friedensorganisation an. „Vor allem die Massaker in Ogossagou, Sobanda, Tessit und die Angriffe auf malische Militärlager in Boulikessi Nampala und Anderboucane, die während der Mandatszeit von MINUSMA geschahen, haben uns allen gezeigt, dass die Mission keinen Frieden nach Mali bringt.“ 

DROHNEN STATT VERHANDLUNGEN

Die internationale Gemeinschaft hat auf militärische Mittel gesetzt. Das überraschende Abkommen von Algier 2015, ein Verhandlungsergebnis zwischen vielen politischen und militärischen Gegnern, wurde nicht gestärkt. Im August 2020 putschte eine Militärjunta rund um den Oberst Assimi Goïta den damaligen Präsidenten aus seinem Amt. Seitdem intensiviert die malische Regierung ihrerseits die Versuche den Konflikt mit den bewaffneten Gruppen im Norden des Landes rein militärisch zu lösen. Dafür wurde das Friedensabkommen von Algier de facto aufgekündigt. Heute sieht die Situation anders aus. So verlautbarte Oberst Goïta im Februar 2024, dass er keine Verhandlungen mehr mit bewaffneten Gruppen führen würde. „Die malische Armee ist heute angeblich mit russischen Waffen ausgerüstet, außerdem verfügt sie über Drohnen, die ihnen im Kampf mit den militanten Gruppen in den Wüstenregionen einen riesigen Vorteil verschaffen. Die Aufständischen haben heute bei weitem nicht mehr die Möglichkeit Städte wie Gao oder Kidal einzunehmen. Die liegen fest in der Hand des malischen Militärs“, erörtertMoctar Kamara die derzeitige Sicherheitssituation.


ERNÜCHTERUNG 

Frieden für die Menschen in Mali scheint in weiter Ferne zu sein. Die staatlichen Kräfte haben sich heute einen großen militärischen Vorteil gegenüber den Aufständischen verschafft, die Sicherheit der normalen Menschen ist dadurch aber nicht im Geringsten gestiegen. Malische Menschenrechtsorganisationen berichten immer wieder von Hinrichtungen durch die staatlichen Sicherheitskräfte im ländlichen Raum, konstatiert Moctar Kamara. Diese gravierenden Menschrechtsverletzungen geben den militanten Gruppen Argumente, um junge Menschen zu rekrutieren. Nicht nur, dass die jungen Menschen vor allem im Norden Malis keine wirtschaftlichen Perspektiven haben, in den Augen des Staates, der ihnen selbst die grundlegenden Dienstleistungen der Gesundheit und der Bildung versagt, sind sie Terroristen. Die Anwesenheit von MINUSMA hat diesen Teufelskreis nicht durchbrochen, doch wie kann eine Perspektive für das gebeutelte Land aussehen?

„Es muss ein Sicherheitsansatz her, der den Schutz von allen Menschen in Mali gewährleistet“, sagt François Sangare von der EIRENE-Partnerorganisation ORFED. „Weiter muss ein Versöhnungsansatz gefunden werden, der der kulturellen Durchmischung des Landes Rechnung trägt und die sozioökonomische Eingliederung von benachteiligten Gruppen umfasst“, führt er fort. Bis heute ist ORFED mit der Zivilgesellschaft in Gao verbunden, Projektarbeit mit Reisen nach Gao kann aber aufgrund der prekären Sicherheitslage auf der Straße zwischen Bamako und Gao nicht stattfinden. Und doch sind die Forderungen der malischen Zivilgesellschaft für Frieden deutlich. Die Basisversorgung aller Menschen muss gewährleistet sein und der Friedensdialog muss fortgeführt werden. Denn klar ist: Weder die internationale Mission noch das malische Militär schaffen Frieden.

von Stefan Heiß

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