Rassismus und Kirche
Die Kirche in Deutschland muss das Miteinander neu wagen. Wie kann das gelingen? Für Sarah Vecera von der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) ist klar, es bedarf einer offenen Auseinandersetzung mit kolonialem Denken und rassistischen Strukturen, die die Kirche seit über 500 Jahren bis heute prägen.
Ich werde nicht selten danach gefragt, was die Kirche denn mit Rassismus zu tun hätte. Das passt in den Köpfen der Menschen nicht zusammen und da fängt das Problem eigentlich auch schon an. Die Kirche kann das 500 Jahre alte globale rassistische System nicht von außen betrachten. Weder aus der Geschichte, noch heute. In der Vergangenheit, wie auch in der Gegenwart ist die Kirche verstrickt in kolonialem Denken und rassistischen Strukturen.
In der Rassismusforschung gilt das Jahr 1492 als Beginn des Rassismus: Kolumbus entdeckte die Amerikas und in diesem Entdecken, was wir bis heute fröhlich in Kinderliedern und -Büchern beklatschen, steckt im Prinzip schon ein Euphemismus für die Anwendung von Gewalt und kolonialer Ausbeutung. Zur Zeit der Aufklärung brachten Philosophen wie Kant und Hegel dann den Begriff der „Rasse“ in den deutschen Kontext. Die Erfindung der Menschenrassen prägt bis heute unaufgearbeitet die Theologie und unser allgemeines Denken. Kein Wunder, denn es wurde versucht diese Ideologie über Jahrhunderte naturwissenschaftlich, philosophisch und theologisch zu begründen. Im Kolonialismus entwickelte sich ein eurozentrisches Denken, das sich bis heute aufrechterhält. Hinzu kommt, dass die Welt nicht nur von Europäer_innen beherrscht, sondern auch von Christ_innen missioniert wurde. Wir haben daher auch als Kirche eine besondere Verstrickung im Kolonialismus und damit auch eine besondere Verantwortung in der Aufarbeitung von Rassismus. In Deutschland sind wir die einzige monotheistische Religion, die aufgrund ihrer Religiosität nicht von Rassismus betroffen ist und über Kirchensteuern vom Staat gefördert und dadurch automatisch institutionell bevorzugt wird. Unsere jüdischen Geschwister leiden unter Antisemitismus und unsere muslimische Geschwister unter anti-muslimischen Rassismus. Unser unsichtbares Privileg diesbezüglich bleibt unbemerkt und selbstverständlich.
Jesus war eine Person of Colour
Eurozentrismus lässt uns außerdem bis heute meinen, dass die Art und Weise, wie wir denken, glauben, leben und handeln, der Standard ist und alles andere daran bemessen wird und gleichzeitig eine Abweichung der Norm ist. In der Theologie lernen und lehren wir mehrheitlich weiße, europäische und männliche Theologie und alle anderen Perspektiven nennen wir Kontextuelle Theologie. Diese Bezeichnung zeigt uns, dass unser Kontext nicht mal als ein Kontext, sondern als Norm wahrgenommen wird. Und diese Lehre besteht nicht nur in Deutschland, sondern auch im globalen Süden. Die Sonne des Rassismus bestrahlt und prägt uns schließlich alle. Wir stecken so tief drin, dass uns vieles nicht mal auffällt. Sichtbar wird diese einseitige Perspektive an Darstellungen biblischer Figuren, auch Jesu selbst. An Kirchenfenstern, Gemälden oder auch in Kinderbibeln zeigt sich, dass Jesus selbst zum hippen christlichen Mitteleuropäer gemacht wurde, obwohl er Jude aus Nazareth und Person of Colour war.
Wenn man sich zudem in unseren kirchlichen Kreisen umschaut, stellt man schnell fest, dass es eine Diskrepanz zwischen den Menschen gibt, die mir in der Innenstadt begegnen und denen, die ich in der Kirche antreffe. 25 Prozent aller Erwachsenen und 40 Prozent aller Kinder unter fünf Jahren haben in Deutschland einen sogenannten Migrationshintergrund. Das heißt nicht, dass all diese Menschen People of Colour sind, aber dennoch haben wir trotz permanent sinkender Kirchenmitgliedszahlen all diese Menschen nicht wirklich im Blick. Von den obersten Leitungsgremien, über haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter_innen bis hin zu Besucher_innen sind unsere kirchlichen Reihen überwiegend weiß. Und dadurch steht Weiß-Sein automatisch weiterhin im Fokus und hält sich allgegenwärtig als Norm in unserer Kirche.Schwarz sind in der Kirche Menschen, die in Fürbittengebeten, Kollektenansagen, Spendenaufrufen oder anderen Hilfsangeboten vorkommen. Schwarz sind die Armen und weiß sind die Helfenden.
Wir gehören zu den „Guten“
All das ist unheimlich schwer kritisch anzusprechen. Zum einen haben wir vor allem in Deutschland gelernt, dass Rassismus für den Großteil unserer Bevölkerung 1945 endete. Lediglich Menschen, die eine böse Absicht verfolgen, bezeichnen wir als rassistisch. Durch unsere Geschichte ist Rassismus zum anderen unheimlich hoch moralisch aufgeladen. Keine_r wird gern als Rassist_in bezeichnet – schon gar nicht in der Kirche. Wir Christ_innen haben nämlich zudem unbewusst verinnerlicht, zu den „Guten“ zu gehören. Da erscheint es umso absurder, selbst von Rassismus betroffen zu sein. Daher reagieren Menschen verwundert, wenn sie hören, dass ich mich mit Rassismus und Kirche beschäftige. Das passt in unseren Köpfen zunächst nicht zusammen.
Die Kirche muss sich selbst wiederfinden
Wenn wir aber in die Bibel schauen, begegnet uns dort eine ganz andere Idee des Miteinanders. Bereits im Schöpfungsbericht begegnet uns die Überzeugung von der Gottesebenbildlichkeit aller Menschen und die ihnen dadurch verliehene Würde. Gott schafft Adam und Eva. Wir erfahren nicht, ob sie Ägypter_innen oder Hebräer_ innen waren, noch bekommen wir Auskunft über ihre Herkunft, Nationalität oder Hautfarbe. In Exodus 20,2 stellt Gott selbst sich als befreiende Kraft vor: „Ich bin der HERR, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.“ Der Fokus liegt hier bis zur Kreuzigung Jesu auf dem Schutz für Fremde und Unterdrückte in dieser Welt. Die Idee von Kirche war nie mono-kulturell gedacht. Selbst in den ersten Gemeinden kamen Menschen unterschiedlicher Prägungen zusammen. aulus warnt vor Spaltung. Die neutestamentlichen Briefe sind voll von dem Zuspruch, es unbedingt miteinander weiter zu versuchen. Es steht an keiner Stelle: „Lasst es bleiben und geht getrennte Wege. So haben alle ihre Ruhe.“ Wir reden außerdem einerseits ganz selbstverständlich von der Bibel als Buch von Migrationserfahrungen und betiteln andererseits Migrant_innen heute als „die Anderen“. Bis zu einem gewissen Grad sehen wir natürlich schon zur Zeit der Bibel, dass sich Menschen abgrenzen und unterscheiden wollen, aber mit unserer kolonialen Vergangenheit hat das einen Beigeschmack und sicherlich auch eine andere Konnotation. Kirche müsste sich daher selbst wiederfinden und ihre kolonialen Verstrickungen aufarbeiten. Dann liegt eine sehr große Chance bei der Kirche selbst und dadurch auch in unserer Gesellschaft, denn wenn wir alle kirchlichen Institutionen zusammen betrachten, ist die Kirche die zweitgrößte Arbeitgeberin in Deutschland und hat einen enormen Einfluss auf Menschen unterschiedlicher Generationen. Wenn wir uns also gemeinsam auf unsere Wurzeln besinnen, Vergangenheit aufarbeiten und uns auch heute kritisch in den Blick nehmen, können wir viel mehr verändern als wir bisher im Blick haben.
Unterschiedliche Perspektiven am Tisch
Die Vereinte Evangelische Mission hat bereits 1996 Konsequenzen gezogen und sich auf allen Ebenen als erstes ehemals deutsches Missionswerk internationalisiert und bezeichnet sich seitdem als „Internationale Gemeinschaft von Kirchen“. Die Anfänge waren mutig und wir können auch nach 25 Jahren nicht sagen, dass wir dadurch frei von Rassismus sind, aber durch das internationale Arbeiten in all unseren Bereichen haben wir immer unterschiedliche Perspektiven am Tisch sitzen, weisen uns gegenseitig darauf hin, wenn wir zu einseitig denken und ich erlebe meinen Arbeitsalltag dadurch als alltägliche Fortbildung, weil ich nie auslerne. Das ist manchmal anstrengend, aber letztendlich macht es unheimlich Spaß und es gibt uns allen das Gefühl, auf einem Weg zu sein, der uns ein Stück mehr all die uralten Verstrickungen dekonstruieren lässt und die Welt und letztendlich auch Gott immer ein bisschen mehr erkennen lässt. Es ist ein langer Weg eine 500 Jahre alte Ideologie zu dekonstruieren, aber der Weg lohnt sich und wie die indische Aktivistin und Schriftstellerin Arundhati Roy hoffnungsvoll gesagt hat: „Eine andere Welt ist nicht nur möglich, sie ist auf dem Weg. Vielleicht werden viele von uns nicht hier sein, um sie zu begrüßen, aber an einem ruhigen Tag, wenn ich ganz genau hinhöre, kann ich sie atmen hören.“
von Sarah Vecera, Theologin und Religionspädagogin bei der VEM. Auf ihrem Instagram-Profil @moyo.me zeigt sie ihren Alltag als berufstätige Mutter, Prädikantin, und nimmt den deutschen Alltagsrassismus in den Blick – auch den in der Kirche.
Wenn Ihr mehr von Sarah Vecera lesen möchtet, dann empfehlen wir Euch den Blog https://rassismusundkirche.de/, dort findet Ihr Blogbeitrage, Materialsammlungen, Ansprechpersonen zum Thema und die Möglichkeit sich im Forum auszutauschen. Außerdem könnt Ihr Sarah auch regelmäßig im United in Mission Podcast hören, den gibt es überall dort, wo es Podcasts gibt.